Krieg und Frieden
getan, wenn ihn nicht seine Zugehörigkeit zum Freimaurerorden davon abgehalten hätte, mit welchem ihn ein Schwur verband und welcher den ewigen Frieden und das Aufhören der Kriege verkündigte, und wenn ihn nicht der Anblick der großen Zahl von Moskauer Herren, welche die Uniform angelegt hatten und mit ihrem Patriotismus prahlten, von diesem Schritt abgehalten hätte.
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Bei Rostows speisten einige Bekannte, wie Sonntags immer.
Peter kam früher, um sie allein anzutreffen. Er war in diesem Jahr so dick geworden, daß er beinahe ungeheuerlich ausgesehen hätte ohne seinen hohen Wuchs, seine mächtigen Glieder und die Kraft, mit der er augenscheinlich die Last trug.
Keuchend stieg er die Treppe hinauf. Die Diener kamen ihm freudig entgegen, um ihm den Mantel, Hut und Stock abzunehmen.
Die erste Person, die er sah, war Natalie. Er hatte sie schon im Vorzimmer gehört, sie sang Solfeggien im Saale. Er wußte, daß sie seit ihrer Krankheit nicht mehr gesungen hatte, und hörte deshalb erfreut ihre Stimme. Leise öffnete er die Tür und sah Natalie in ihrem veilchenblauen Kleide singend im Zimmer auf und ab gehen. Als sie sich plötzlich umwandte und sein dickes, verwundertes Gesicht sah, errötete sie und ging ihm rasch entgegen.
»Ich versuche, wieder zu singen, man muß sich doch mit etwas beschäftigen«, sagte sie, als ob sie sich entschuldigen wollte.
»Es geht ja ganz vortrefflich!«
»Wie erfreut bin ich, daß Sie gekommen sind! Ich bin heute so glücklich!« sagte sie mit ihrer früheren Lebhaftigkeit, wie er sie lange nicht gesehen hatte. »Sie wissen, mein Bruder hat das Georgenkreuz erhalten, ich bin so stolz auf ihn.«
»Ich weiß, ich habe den Armeebefehl mitgebracht. Aber ich will Sie nicht stören!« Damit wollte er vorübergehen in den Salon, aber Natalie hielt ihn an.
»Mißfällt es Ihnen, Graf, daß ich singe?« sagte sie errötend und blickte ihn fragend an.
»Nein... im Gegenteil... Aber warum fragen Sie mich?«
»Ich weiß nicht«, erwiderte Natalie rasch. »Aber ich möchte nichts tun, was Ihnen mißfällt. Ich vertraue Ihnen in allem, Sie wissen nicht, wie wichtig Sie für mich sind...« Sie sprach rasch, ohne zu bemerken, daß Peter bei diesen Worten errötete. – »Ich habe gelesen, daß er, Bolkonsky«, flüsterte sie, »in Rußland ist und hier dient. Was meinen Sie«, fragte sie hastig und schüchtern, »wird er mir später einmal vergeben? Was meinen Sie? Wie denken Sie?«
»Ich meine ...« sagte Peter, »er hat nichts zu vergeben. Wenn ich an seiner Stelle wäre ...«
»Ja, Sie! Sie!« rief sie entzückt. »Das ist etwas anderes. Gutherziger und großmütiger als Sie ist niemand zu finden! Wenn Sie damals nicht gewesen wären, ich weiß nicht, was aus mir geworden wäre, denn...« Plötzlich füllten sich ihre Augen mit Tränen, sie wandte sich ab, hielt das Notenblatt vor die Augen und begann wieder zu singen.
Aus dem Salon kam Petja gelaufen. Er war jetzt ein hübscher, rotwangiger, fünfzehnjähriger Knabe mit dicken roten Lippen und Natalie sehr ähnlich. Er sollte sich auf die Universität vorbereiten, aber in letzter Zeit hatte er sich mit seinem Freund Obolensky verabredet, zu den Husaren zu gehen, und hatte Peter gebeten, sich zu erkundigen, ob man ihn annehmen werde.
»Nun, wie ist's, Peter Kirilitsch? Bitte, bitte, Sie sind meine einzige Hoffnung!« rief Petja.
»Ach, ja, ja! Also zu den Husaren? Nun, ich werde noch heute darüber sprechen.«
»Nun, mein Lieber, haben Sie das Manifest gebracht?« fragte der alte Graf! »Die Gräfin war in der Kirche, man hat ein neues Gebet gesprochen, sie sagt, es sei sehr schön.«
»Das Manifest? Ich habe es bei mir«, erwiderte Peter. »Morgen wird der Kaiser ankommen, eine außerordentliche Adelsversammlung ist einberufen, und man sagt, es werden zehn von tausend ausgehoben.«
»Nun, und was hört man von der Armee?«
»Die Unsrigen haben sich alle zurückgezogen, man sagt, sie seien schon bei Smolensk«, erwiderte Peter.
»Mein Gott, mein Gott«, sagte der Graf. »Wo haben Sie das Manifest?«
»Den Aufruf?«
»Ja, ja.«
Peter suchte in seinen Taschen, konnte aber das Papier nicht finden. Er küßte der eintretenden Gräfin die Hand und fuhr fort, in seinen Taschen zu wühlen. »Ich weiß wirklich nicht, wo ich es gelassen habe.«
»Ein bißchen zerstreut, wie immer!« sagte die Gräfin. Natalie trat mit aufgeregter Miene ein, setzte sich und blickte schweigend Peter an. Sobald sie eingetreten war, strahlte
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