Krieg und Frieden
enthielt, war hell erleuchtet wie eine Kirche. In einem großen Lehnstuhl vor der Nische saß der Graf Besuchow mit seinem großen, majestätischen Gesicht, in eine seidene Decke gehüllt, halb liegend, auf tadellos weißen Kissen. Die Löwenmähne von grauen Haaren ließ sein schönes, edles, wachsbleiches Gesicht hervortreten. Seine starken Hände lagen regungslos auf der Decke. Zwischen den Zeigefinger und den Daumen der rechten Hand hatte man eine Kerze gesteckt, welche ein Diener neben dem Lehnstuhl hielt. Die Priester und Kirchensänger mit ihren langen Haaren und reichen Gewändern verrichteten mit feierlicher Langsamkeit den Gottesdienst. Weiterhin standen die beiden jüngeren Nichten mit Taschentüchern vor den Augen hinter ihrer älteren Schwester mit ihrem starren Gesicht. Ihnen gegenüber stand der Fürst Wassil, zwei Schritte von dem Sterbenden entfernt, mit einer Kerze in der linken Hand, und stützte sich auf die geschnitzte Lehne eines Stuhles. So oft er mit seiner rechten Hand, sich bekreuzigend, die Stirn berührte, blickte er nach dem Himmel auf. Hinter ihm standen Ärzte und Diener des Hauses, auf einer Seite die Männer, auf der anderen die Damen, wie in der Kirche. Alles schwieg und bekreuzigte sich, man hörte nur die Stimmen der Geistlichen und den vollen Chorgesang. Zuweilen seufzte einer der Anwesenden und änderte seine Stellung.
Plötzlich durchschritt die Fürstin Drubezkoi das Zimmer mit der Zuversicht einer Person, welche weiß, was sie tut, und bot Peter eine Kerze an. Er zündete sie an, und in der Zerstreuung bekreuzigte er sich mit der Hand, welche die Kerze hielt.
Sophie, die jüngste der Fürstinnen, betrachtete ihn lachend und versenkte dann wieder das Gesicht in das Taschentuch. Nach einem zweiten Blick auf Peter aber fühlte sie sich unfähig, noch länger den Ernst zu bewahren und zog sich hinter eine der Säulen zurück. Mitten in der Zeremonie verstummten plötzlich die Stimmen, die Priester flüsterten sich etwas zu. Der alte Diener, welcher die Hand des Grafen unterstützte, richtete sich auf und winkte nach den Damen. Sogleich trat die Fürstin Drubezkoi vor, beugte sich zu dem Sterbenden herab und winkte den Doktor Lorrain herbei. Er näherte sich leise, ergriff die Hand, welche auf der Decke lag, suchte den Puls und versenkte sich in seine Berechnung. Man drängte sich um ihn, man befeuchtete die Lippen des Sterbenden mit einem Erfrischungsmittel. Dann wurde die Zeremonie fortgesetzt. Während dieser Unterbrechung sah Peter, wie der Fürst Wassil seinen Stuhl verließ, sich der älteren Nichte näherte und mit ihr in den Hintergrund des Alkovens trat, worauf sie an dem großen Bett vorübergingen und durch eine kleine Tapetentür verschwanden. Noch war der Gottesdienst nicht beendet, als sie ihre Plätze wieder eingenommen hatten. Dieser Umstand erweckte die Neugierde Peters nicht, denn er war an diesem Abend überzeugt, daß alles, was vorging, so sein müsse. Der Gesang hörte auf und der Geistliche richtete Glückwünsche an den Sterbenden. Aber dieser lag noch immer regungslos da. Es entstand wieder Unruhe, man ging hin und her und flüsterte. Peter hörte, wie die Fürstin Drubezkoi leise sagte: »Man muß ihn durchaus wieder in sein Bett bringen, sonst ist es unmöglich...«
Die Ärzte, die Nichten und die Diener umgaben den Sterbenden, welcher dadurch den Blicken Peters entzogen wurde. Er sah nur, daß man ihn aufhob. Die Diener kamen an dem jungen Mann vorüber, und er konnte während eines Augenblicks inmitten der Gruppe die mächtige Brust des Sterbenden, seine Schultern und seinen Kopf mit der Löwenmähne sehen, welcher während des ungleichen Ganges der Träger schwankte.
Nach einigen Augenblicken der Geschäftigkeit um das Bett zogen sich die Diener zurück. Die Fürstin berührte Peter leicht mit der Fingerspitze.
»Kommen Sie!« sagte sie.
Er gehorchte. Man hatte dem Kranken durch Kissen eine aufrechte Lage gegeben, seine Hände lagen auf der grünen Decke und er sah gerade vor sich hin, mit jenem leeren Blick, den niemand beschreiben noch verstehen kann. Hatte er nichts zu sagen oder hatte er viel zu sagen? Peter blieb vor dem Bett stehen, ohne zu wissen, was er tun sollte, und richtete einen fragenden Blick auf seine Führerin, welche mit einer kaum merklichen Bewegung nach der Hand des Sterbenden wies und ihm ein Zeichen machte, dieselbe zu küssen. Peter bückte sich vorsichtig herab und drückte die Lippen auf die große Hand des Grafen.
Kein
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