Krieg und Frieden
Postpferd? Aber wir wollen sprechen, und ernsthaft, wenn du willst!«
Er schwieg. Seine Miene und sein Blick nahmen einen anderen, unangenehmen Ausdruck an, ganz unähnlich seinem gewöhnlichen. In seinen Augen war zugleich Dreistigkeit und Besorgnis zu lesen.
Die Fürstin hielt ihren kleinen Hund auf den Knien, betrachtete ihn aufmerksam in tiefem Schweigen, fest entschlossen, es nicht zuerst zu brechen, auch wenn es die ganze Nacht dauern sollte.
»Sehen Sie, teuerste Fürstin und Cousine Katharina«, begann der Fürst Wassil mit sichtlicher Anstrengung, »in solchen Augenblicken muß man an alles denken. Ich liebe euch wie meine eigenen Töchter, das weißt du, nicht wahr? ...«
Da die Fürstin in fernerem Schweigen verharrte, fuhr er fort, ohne sie anzusehen: »Du weißt, Käthchen, daß ihr drei und meine Frau die einzigen direkten Erben seid. Ich weiß wohl, wie peinlich der Gegenstand für dich und auch für mich ist, aber, ma chère ami, ich bin über fünfzig, man muß an alles denken. Weißt du, daß ich nach Peter gesandt habe? Der Graf hat es verlangt, indem er auf sein Bild deutete.
Der Fürst Wassil richtete seine Augen auf sie. Nichts in ihrer Miene ließ erraten, daß sie ihn gehört hatte.
»Ich richte unablässig innige Gebete für seine Rettung zu Gott, mein Vetter.«
»Ja, ja, gewiß«, erwiderte der Fürst. »Nun aber zur Sache! Du kennst sie. Im letzten Winter hat der Graf ein Testament gemacht, in dem er alles Peter vermachte und seine gesetzlichen Erben überging.«
»Oh, er hat so viele Testamente gemacht«, erwiderte die Nichte mit vollkommener Ruhe. »Jedenfalls kann er Peter nichts vermachen; denn Peter ist ein natürlicher Sohn.«
»Und was sollen wir machen«, rief lebhaft der Fürst Wassil, »wenn der Graf den Kaiser durch einen Brief bitten würde, seinen Sohn anzuerkennen? Aus Rücksicht auf die Dienste des Grafen würde man ihm das vielleicht bewilligen.«
Die Fürstin lächelte überlegen.
»Ich kann noch mehr sagen, der Brief ist schon geschrieben, wenn auch noch nicht abgesandt, und der Kaiser weiß es. Es handelt sich darum, zu ermitteln, ob er vernichtet worden ist. Wenn er im Gegenteil noch existiert, so wird man später ... wenn alles vorüber ist«, und ein Seufzer deutete an, was er mit dem Worte »alles« meinte, »die Papiere des Grafen durchsuchen, das Testament wird dem Kaiser mit dem Brief übergeben, seine Bitte wird erfüllt, und Peter erbt alles, als anerkannter Sohn.«
»Und unser Anteil?« fragte die Fürstin mit ironischer Überzeugung, daß nichts zu befürchten sei.
»Aber liebes Käthchen, das ist doch klar wie der Tag. Dann ist er der einzige Erbe und ihr erhaltet keinen Groschen. Das mußt du wissen, meine Liebe, ob das Testament und der Brief vernichtet sind. Und wenn er sie vergessen hat, wo liegen sie? In diesem Fall kann man sie an sich nehmen, denn ...«
»Warum nicht gar?« erwiderte sie mit demselben überlegenen Blick. »Ich bin nur eine Dame, und Damen erklärt ihr ja für dumm, aber ich weiß sicher, daß ein Bastard nichts erben kann. Un batard«, fügte sie französisch hinzu, als ob dieses Wort überzeugende Kraft hätte.
»Du willst mich nicht verstehen, Käthchen. Wenn der Graf die Legitimation durchsetzt, so ist Peter nicht mehr Peter, sondern Graf Besuchow, und das ganze Vermögen geht von selbst an ihn über. Wenn das Testament und der Brief noch existiert, so wirst du nichts weiter erhalten als das Bewußtsein, gut und hingebend gewesen zu sein. Das ist sicher.«
»Ich weiß, daß das Testament existiert; ich weiß aber auch, daß es nicht gesetzlich ist, und ich glaube, Sie halten mich für beschränkt, lieber Vetter«, erwiderte die Fürstin, überzeugt, etwas Sarkastisches und Geistreiches gesagt zu haben.
»Teuerste Fürstin«, erwiderte der Alte mit sichtlichem Verdruß, »ich bin nicht gekommen, um dich zu verletzen, sondern um mit dir über deine eigenen Interessen zu sprechen. Du bist eine gute, liebenswürdige Verwandte, und ich wiederhole dir zum zehnten Male, wenn das Testament und der Brief sich unter den Papieren des Grafen vorfinden, so hört ihr auf, reiche Erbinnen zu sein, du und deine Schwester. Wenn du kein Vertrauen zu mir hast, so wende dich an Leute, die es verstehen. Ich habe Dmitri Onufriewitch, den Anwalt des Hauses, gesprochen, und er hat mir dasselbe gesagt.«
Plötzlich wurde es hell in der Gedankenwelt der Fürstin. Ihre dünnen Lippen erbleichten, aber ihre Blicke behielten ihre
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