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Krieg und Frieden

Krieg und Frieden

Titel: Krieg und Frieden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lew Tolstoi
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seiner Führerin stehenblieb. Die gute Dame teilte seine Überraschung nicht.
    »Seien Sie ein Mann, mein Freund«, sagte sie lächelnd mit einem Seufzer. »Ich werde über Ihre Interessen wachen.« Dann schritt sie hastig weiter. Was wollte sie damit sagen? Peter verstand sie nicht. »Wahrscheinlich muß es so sein«, sagte er zu sich selbst. Der Gang endigte in einen großen, schwach erleuchteten Saal neben dem Empfangssaal des Grafen. Peter durchschritt ihn gewöhnlich, wenn er über die große Treppe nach Hause kam. Eine vergessene Badewanne stand in der Mitte auf dem Teppich. Der Nebensaal führte in einen Wintergarten. Dieselben Personen waren noch versammelt und flüsterten wie zuvor.
    Beim Eintritt der Fürstin schwiegen alle und betrachteten forschend ihr bleiches Gesicht und den großen Peter, der ihr mit gesenktem Kopfe gefügig folgte. Ihr Gesicht drückte deutlich aus, daß der entscheidende Augenblick gekommen war, und mit der Sicherheit einer gewandten Petersburger Dame begegnete sie den neugierigen Blicken, des Schutzes ihres Begleiters sicher, denn der Sterbende hatte nach ihm gefragt. Ohne Zögern ging sie auf den Beichtvater des Grafen zu, verbeugte sich und bat um seinen Segen. Dann wandte sie sich mit derselben Demut an den anderen Würdenträger der Kirche.
    »Gott sei gelobt, wir kommen noch zur rechten Zeit«, sagte sie. »Dies ist der Sohn des Grafen. Welch schrecklicher Augenblick! Lieber Doktor«, sagte sie zu dem Arzt, »dieser junge Mann ist der Sohn des Grafen. Ist noch Hoffnung vorhanden?«
    Der Doktor blickte nach oben und zuckte die Achseln.
    Die Fürstin ahmte ihn nach, bedeckte das Gesicht mit der Hand und verließ ihn mit einem tiefen Seufzer, um sich Peter zu nähern mit einer Miene voll Zärtlichkeit und bedeutsamer Trauer.
    »Vertrauen Sie auf seine Barmherzigkeit!« Dann deutete sie nach einem kleinen Sofa, wo er Platz nehmen sollte, und endlich schritt sie geräuschlos der geheimnisvollen Tür zu, auf welche die allgemeine Aufmerksamkeit gerichtet war, öffnete sie leise und verschwand.
    Peter gehorchte ihr blindlings, setzte sich auf das kleine Sofa und bemerkte nicht ohne Erstaunen, daß man ihn mit mehr Neugierde als Interesse betrachtete. Man deutete flüsternd nach ihm, er schien eine gewisse Furcht einzuflößen, und man erwies ihm eine Achtung, an die er nicht gewöhnt war. Eine Dame, welche mit den beiden Priestern sprach, erhob sich, um ihm ihren Platz zu überlassen, ein Adjutant hob den Handschuh auf, den er hatte fallen lassen, und reichte ihn ihm, die Ärzte schwiegen und traten zur Seite, um ihn vorüber zu lassen.
    Die erste Regung Peters war, den angebotenen Platz abzulehnen, um die Damen nicht zu stören, und selbst den Handschuh aufzuheben. Aber er dachte, das sei nicht schicklich, er sei eine wichtige Persönlichkeit geworden, von der man während dieser traurigen Nacht viel erwarte, und er sei deshalb verpflichtet, jedermanns Dienste anzunehmen. Er nahm also schweigend den Handschuh und setzte sich auf den Platz der Dame. Nach kaum zwei Minuten trat der Fürst Wassil majestätisch ein, mit hoch erhobenem Haupt und mit drei Sternen auf seinem langen Rock. Er ergriff Peters Hand, was er noch nie getan hatte.
    »Fassen Sie Mut, mon ami, er hat nach Ihnen gefragt, das ist gut.«
    »Wie ist die Gesundheit von ...« begann Peter. Dann stockte er verwirrt, da er nicht wußte, ob er den Grafen seinen Vater nennen sollte.
    »Vor einer halben Stunde hat er einen neuen Schlaganfall gehabt. Mut, mein Freund.«
    Peter war so verwirrt, daß er ihn nicht verstand, er blickte den Fürsten entsetzt an. Dieser wechselte einige Worte mit dem Arzt und ging auf Zehenspitzen nach der offenen Tür. Die ältere Fürstin folgte ihm ebenso wie die Geistlichen und die Diener des Hauses. Im Krankenzimmer entstand eine Bewegung, und die Fürstin Drubezkoi ging mit bleicher Miene, aber fest in der Erfüllung ihrer Pflicht, hinaus, um Peter zu holen. »Gottes Gnade ist unerschöpflich«, sagte sie. »Die Zeremonie der letzten Ölung wird sogleich beginnen, kommen Sie!«
    Er erhob sich und bemerkte, daß alle Personen, welche in dem Saal waren, mit ihm in das nächste Zimmer gingen, als ob man sich keinem Zwang mehr zu fügen hätte.

20
    Peter kannte dieses große Zimmer sehr wohl, in welchem eine Säulenreihe einen Alkoven bildete. Hinter den Säulen sah man ein großes, sehr hohes Bett mit schweren Vorhängen, die Nische daneben mit einem Glasfenster, welche die Heiligenbilder

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