Krieg und Frieden
Desalles! Gute Nacht!« sagte Peter und reichte dem Schweizer die Hand. »Wir haben uns noch gar nicht gesehen«, sagte er zu dem kleinen Nikolai. »Wie ähnlich er geworden ist!« sagte er zu Marie.
»Meinem Vater?« fragte der Knabe hocherrötend und mit glänzenden Augen.
Peter nickte ihm zu und setzte das unterbrochene Gespräch fort.
Marie war mit einer Handarbeit beschäftigt, Natalie aber wandte keinen Blick von ihrem Manne ab, während Sonja betrübt und einsam am Samowar saß. Nikolai und Denissow standen auf, zündeten ihre Pfeifen an und befragten Peter. Der schmächtige Knabe mit seinen glänzenden Augen saß, von niemand beachtet, in einer Ecke.
Das Gespräch drehte sich um jene Neuigkeiten und Klatschgeschichten aus den höchsten Kreisen, in denen die meisten Menschen gewöhnlich den wichtigsten Teil der inneren Politik sehen. Denissow, der mit der Regierung nach seinem Mißerfolg im Dienst sehr unzufrieden war, erfuhr mit Genugtuung alle Dummheiten, die nach seiner Ansicht jetzt in Petersburg gemacht wurden, und begleitete Peters Erzählungen mit starken und scharfen Ausdrücken.
»Früher waren die Deutschen notwendig, jetzt muß man tanzen mit der Tatarinow und Madame Krüdener! Ach, wenn Bonaparte wiederkäme, wie würde er alle diese Narrheiten wegfegen! Ist es erhört, dem Soldaten Schwartz das Semenowsche Regiment zu geben?«
Nikolai war weniger geneigt, alles schlecht zu finden, interessierte sich aber auch für alle diese Nichtigkeiten, weil er dies für notwendig hielt. Aber Natalie, die alle Gewohnheiten und Gedanken ihres Mannes kannte, sah, daß Peter schon lange dem Gespräch eine andere Wendung zu geben wünschte, um von seinem Lieblingsgedanken, seiner Reise nach Petersburg, zu sprechen, und sie kam ihm durch eine Frage nach seinem Freund, dem Fürsten Fedor, zu Hilfe.
»Was ist das für eine Geschichte?« fragte Nikolai.
»Immer dasselbe«, sagte Peter. »Alle sehen, daß die Sachen so schlecht gehen, daß es nicht so bleiben kann, und daß es Pflicht jedes ehrlichen Menschen ist, nach seinen Kräften entgegenzuwirken.«
»Was können denn ehrliche Menschen tun?« fragte Nikolai.
»Nun sieh ...«
»Kommt ins Kabinett!« sagte Nikolai.
Natalie wußte schon, daß sie bald abgerufen werden würde, um das Kind zu stillen, und ging in das Kinderzimmer, begleitet von Marie. Die Herren gingen in das Kabinett, und der kleine Nikolai folgte dem Onkel unbemerkt nach und setzte sich in den Schatten beim Fenster, neben den Schreibtisch.
»Nun, was willst du also machen?« fragte Denissow.
»Immer Phantasien!« bemerkte Nikolai.
»Nun seht«, begann Peter, im Zimmer auf und ab gehend, mit heftigen Gebärden, »die Lage in Petersburg ist folgende: Der Kaiser kümmert sich um nichts und ist immer mit diesem Mystizismus beschäftigt. Er sucht nur Ruhe, und Ruhe können ihm nur Leute ohne Gewissen und Ehre geben, wie Magnizky, Araktschejew und tutti quanti. Du wirst einsehen, wenn du selbst dich um deine Wirtschaft nicht kümmern und nur nach Ruhe verlangen würdest, so würde dein Verwalter um so grausamer wirtschaften!« sagte Nikolai.
»Nun ja, was willst du damit sagen?« fragte Nikolai.
»Nun, und alles geht zugrunde. In den Gerichten herrscht Bestechung, in der Armee der Stock allein, das Volk wird bedrückt und die Aufklärung erstickt. Was jung und ehrlich ist, wird zugrunde gerichtet! Alle sehen, daß es so nicht weitergehen kann, alles ist zu sehr gespannt und muß reißen!« sagte Peter ebenso, wie immer die Leute über Handlungen der Regierung sprachen, seit es überhaupt eine Regierung gibt. »Ich allein habe es ihnen gesagt in Petersburg!«
»Wem?« fragte Denissow.
»Nun, Sie wissen, wem!« sagte Peter mit bedeutsamem Blick. »Dem Fürsten Fedor und ihnen allen. Mitzuwirken zur Aufklärung und Tugendhaftigkeit, das ist ganz schön, versteht sich, es ist ein prachtvolles Ziel, aber unter jetzigen Umständen ist etwas anderes nötig.«
In diesem Augenblick bemerkte Nikolai die Anwesenheit seines Neffen. »Was machst du hier?« fragte er mit finsterer Miene.
»Laß ihn doch!« erwiderte Peter und ergriff Nikolai am Arm. »Ich sagte«, fuhr er fort, »jetzt ist etwas anderes nötig. Wenn ihr steht und wartet, bis die überspannte Saite reißt, wenn alle die unvermeidliche Umwälzung abwarten, so muß das Volk sich zusammenscharen und Arm in Arm der allgemeinen Katastrophe entgegenarbeiten. Alles Junge, Starke fällt der Verworfenheit anheim, den einen verführen die
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