Krieg und Frieden
Willst du die Frau des Fürsten Anatol Kuragin sein oder nicht? Sprich! Ja oder nein?« schrie er. – »Ich behalte mir vor, meine Meinung nachher zu sagen! Ja, meine Meinung und nur meine Meinung«, fügte er hinzu, gegen den Fürsten Wassil sich wendend. – »Ja oder nein?«
»Es ist mein Wunsch, Väterchen, Sie niemals zu verlassen, niemals mein Leben von dem Ihrigen zu trennen! Ich will nicht heiraten!« sagte sie entschlossen und blickte mit ihren schönen Augen die alten Herren offen an.
»Unsinn! Dummheiten! Unsinn! Unsinn!« schrie der alte Fürst mit ärgerlichem Gesicht. Dann legte er seine Stirn an ihre Stirn und drückte ihre Hand so stark, daß sie aufschrie. Auch Fürst Wassil stand auf.
»Meine Liebe, ich sage Ihnen, ich werde diese Minute niemals vergessen! Aber ich bitte Sie, geben Sie uns wenigstens eine kleine Hoffnung, dieses gute, großmütige Herz zu rühren, sagen Sie wenigstens: vielleicht! Die Zukunft ist groß, sagen Sie: vielleicht!«
»Fürst, was ich gesagt habe, ist alles, was in meinem Herzen liegt. Ich danke für die Ehre, aber niemals werde ich die Frau Ihres Sohnes sein!«
»Nun ist's aus, mein Lieber! Ich bin sehr erfreut, dich zu sehen! Sehr erfreut, dich zu sehen! Geh in dein Zimmer, Fürstin, geh! Sehr, sehr erfreut, dich zu sehen!« wiederholte er, indem er den Fürsten Wassil umarmte.
»Meine Bestimmung ist eine andere«, dachte die Fürstin Marie, »meine Bestimmung ist es, auf andere Weise glücklich zu sein, durch das Glück der Liebe und Selbstaufopferung! Und was es mich auch kostet, ich werde das Glück der armen Amélie machen!« So wurde zuweilen Mademoiselle Bourienne genannt. »Er liebt sie so leidenschaftlich, und sie ist so reuevoll! Ich werde alles tun, um ihr die Heirat zu ermöglichen, den Vater für sie bitten. Ich werde so glücklich sein, wenn sie seine Frau sein wird, und, mein Gott, wie leidenschaftlich sie ihn lieben muß, wenn sie sich so vergessen konnte! Vielleicht hätte ich ebenso gehandelt.«
48
Lange Zeit traf bei Rostows keine Nachricht von Nikolai ein. Erst in der Mitte des Winters erhielt der Graf einen Brief, auf dessen Adresse er die Handschrift seines Sohnes erkannte. Erschrocken und hastig lief er auf den Zehenspitzen, um nicht bemerkt zu werden, in sein Kabinett, schloß sich ein und las. Die Fürstin Drubezkoi hatte von der Ankunft des Briefes erfahren, wie sie alles erfuhr und wußte, was im Hause vorging. Sie kam mit leisen Schritten in das Zimmer des Grafen, den sie weinend antraf.
»Mein guter Freund«, sagte sie teilnahmsvoll, »was ist geschehen?«
Der Graf weinte noch heftiger. »Nikolai! ... ein Brief! ... Verwundet! ... Meine Liebe, verwundet! ... Er ist Offizier geworden, Gott sei Dank! ... Wie soll ich es der Gräfin sagen?«
Die Fürstin setzte sich neben ihn und wischte mit einem Tuch die Tränen aus seinen Augen. Sie beruhigte den Grafen und entschied, sie werde vor Tisch die Gräfin vorbereiten und nach dem Tee ihr mit Gottes Hilfe alles mitteilen.
Während des ganzen Mittagessens sprach die Fürstin von Kriegsgerüchten und von Nikolai und fragte, wann der letzte Brief von ihm gekommen sei. Bei diesen Anspielungen wurde die Gräfin unruhig, aber Natalie erriet bald, daß etwas vorgefallen sei und daß die Fürstin ihre Mutter vorbereiten wollte. Nach Tisch holte sie die Fürstin ein und warf sich ihr um den Hals.
»Tantchen, sagen Sie mir, was ist geschehen?«
»Nichts, mein Kind, sei vorsichtig! Du weißt, wie leicht deine Mutter erschrecken kann!«
»Ja, ja, aber erzählen Sie! Sie wollen nicht? Nun, dann gehe ich gleich und sage es allen!«
Die Fürstin erzählte Natalie in kurzen Worten den Inhalt des Briefes, wonach Nikolai verwundet und Offizier geworden sei, aber unter der Bedingung, niemand davon zu sagen.
»Mein heiliges Ehrenwort!« sagte Natalie, sich bekreuzigend, »ich werde niemand davon sagen.« Sofort lief sie zu Sonja, umarmte sie weinend und erzählte ihr alles, was sie wußte.
Nikolais Brief wurde hundertmal gelesen. Diejenigen aber, welche sich für würdig hielten, den Inhalt zu erfahren, mußten sich zur Gräfin bemühen, welche ihn nicht aus den Händen ließ. Sie fühlte sich ungewöhnlich glücklich, daß ihr Sohn, wegen dessen sie sich mit ihrem einfältigen Grafen gezankt hatte, dieser Sohn, welcher zuerst sagen lernte »Birne« und dann »Großmama«, daß dieser Sohn jetzt dort im fremden Lande als junger Krieger allein solche mutigen Taten verrichtete. Mehr als eine Woche lang
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