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Kriegsgebiete

Kriegsgebiete

Titel: Kriegsgebiete Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roland Spranger
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Es war auf jeden Fall in
der gesamten Wohnung zu hören. Daniel sperrte auf und öffnete
langsam die Tür.
    »Maik?«,
fragte er argwöhnisch in den Flur. Der Flur war leblos. Er sah
so aus, als müsste er wiederbelebt werden. Zögernd trat
Daniel auf den PVC-Boden. Kein Knarren, wie es sich für so einen
Moment gehörte. Mittlerweile rechnete er damit, überall
Leichen zu finden.
    »Maik?«,
fragte Daniel noch einmal, nachdem er zwei Schritte in den Flur
gemacht hatte. Nichts. Irgendwo ein Surren, nur ganz leise. Das
Geräusch machte die Wohnung noch verlassener. Abweisender.
Daniel holte sein Schweizer Offiziersmesser aus der Tasche und
klappte die große Klinge auf. Langsam ging er durch den Gang.
Die Plakate schienen lebendig zu sein. Ian Curtis schaute ihm
mitleidig hinterher. So weit wirst du auch noch kommen, flüsterte
sein Blick. Die Blues Brothers verfolgten jeden seiner Schritte
hinter ihren dunklen Sonnenbrillen und machten Witze hinter seinem
Rücken. Der große Fisch aus dem Giant-Sand-Konzertplakat
schwamm von links nach rechts durch den Flur. Die verdammte Wohnung
war ein Aquarium. Seine Schritte gedämpft wie unter Wasser. Als
würden sie gar nicht richtig stattfinden. Als würde sich
Wasser gegen jede seiner Bewegungen stemmen.
    Der
Küchentisch hätte in einer Geisterstadt stehen können,
die von einem Moment auf den nächsten verlassen worden war.
Vielleicht weil sie überflutet wurde. Unterwasser-Archäologie.
Das Frühstück war noch nicht abgeräumt. Eine
Kaffeetasse. Eine Müslischüssel. Ein Aschenbecher. Daniel
folgte dem leisen Surren ins Wohnzimmer. Das Notebook im
Energiesparmodus. Sonnenlicht fiel durchs Fenster. Staubkörner
schwebten über dem Wohnzimmertisch. Wie Plankton.
    Daniel
hatte Angst, ins Schlafzimmer zu gehen. Langsam öffnete er die
Tür. Keine Leiche auf dem Bett. Nirgendwo Blutspuren. Auf dem
Nachtkästchen lag Die Hyperion-Gesänge von Dan
Simmons. Maik las sie bereits zum zweiten Mal. Sein Buch für die
einsame Insel, hatte er gesagt. Daniel wünschte sich genug
Konzentration, um auch so ein dickes Buch lesen zu können. Die
Konzentration war bei einem Auslandseinsatz auf der Strecke
geblieben. Ein Buch für die einsame Insel hätte jeder gern.
    Plötzlich
quietschte etwas unglaublich laut. Als würde jemand direkt neben
seinem Ohr ein Quietscheentchen zusammendrücken. Daniel fuhr
herum. Erst in diesem Moment wurde ihm bewusst, dass er das Messer
immer noch in seiner Hand hatte. Es quietschte erneut. Das Handy.
Blöder Klingelton. Er holte das Mobiltelefon aus seiner Tasche
und drückte auf Annehmen .
    »Hallo«,
sagte Daniel.
    »Ich
wollte nur sichergehen, dass du das Handy hast.«
    Es
knisterte laut in Daniels Ohr. Die Stimme war verzerrt. Lustige
Stimmenverzerrer konnte man sich überall herunterladen. Den
Saw-Stimmenverzerrer. Den Funny-Voice-Stimmenverzerrer. Alles, was
der tüchtige Stalker braucht. Oder der Entführer. Daniel
hasste das Internet.
    »Was
soll ich tun?«
    »Nichts.
Warten.«
    Knacken.
    »Hallo?«
    Der
Anrufer hatte aufgelegt.
    Daniel
steckte das Handy in seine Tasche. Danach klappte er das Schweizer
Offiziersmesser zusammen.
    Dabei
sagte er laut: »Ich mach dich fertig, Arschloch.«
    Das
erste Mal an diesem Tag schien die Wohnung kein Aquarium zu sein.
    Daniel
beschloss, nicht auf Maik zu warten, sondern setzte sich an dessen
Notebook und begann zu googeln.
    Die
Presseberichte.
    Die
toten Frauen.
    Ihre
Lebensgefährten. Jeder hatte vor den Morden unglaublich viele
Facebook-Einträge. Danach nur noch große Leere. Keiner
veränderte seinen Status mehr.
    Die
Suche im Internet war Daniel bereits zur Routine geworden.
    Noch
mal die toten Frauen. Auf den Fotos sahen sie lebendig aus. Das
Internet vergisst nichts. Daniel musste an Lea denken. Sie war noch
am Leben. Vielleicht. Hoffentlich. Sie musste noch am Leben sein. Bei
diesem Gedanken übergab er sich in den Papierkorb. Er konnte
sich nicht erinnern, wann er das letzte Mal etwas gegessen hatte. Der
Blick in den Papierkorb gab keinen Aufschluss.
    Daniel
googelte die Organisationen, in denen die jungen Männer aktiv
waren. Alle waren miteinander verlinkt, aber er konnte keinen klaren
Gedanken fassen, den Links nicht folgen. Tiefe Furcht hatte sich in
seinem Betriebssystem eingenistet. Er hatte Angst davor, Lea zu
beerdigen. Dagegen war die Aussicht selbst zu sterben eher so etwas
wie ein Versprechen. Wenn der Scheißkerl wieder anruft,
schlägst du ihm einen Geiseltausch vor, dachte Daniel.
    Aber
der

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