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Kriegsgebiete

Kriegsgebiete

Titel: Kriegsgebiete Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roland Spranger
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Scheißkerl rief nicht an.
    »Du
weißt noch nicht, wie sich Warten wirklich anfühlt«,
hatte Melanie gesagt. Jetzt wusste er, was sie meinte. Obwohl er
schon oft genug gewartet hatte. Auf einen Einsatzbefehl. Auf
Verstärkung. Vor einem Feldlazarett. Irgendjemand hatte
beschlossen, dass Daniel noch nicht genug gewartet hatte. Bisher war
er beim Warten meistens in einer Reihe gestanden. Das war Geduld in
ihrer geordneten Form. Nun wurde er von der Langsamkeit der
Zeitvergehgeschwindigkeit terrorisiert, aber es half nichts,
rumzubrüllen. Ganz wahnsinnig zu werden. Er durfte auf keinen
Fall die Geduld verlieren. Jeder falsche Schritt würde Lea
gefährden. Alles vermintes Gelände.
    Daniel
googelte wild weiter. Er wünschte sich, die verdammte
Suchmaschine in die Luft heben zu können wie einen Umzugskarton.
Umdrehen und schütteln, bis alles herausfällt.
    Immer
wieder nur die gleichen Fotos, die gleichen Zeitungsberichte. Nur die
Geschwindigkeit, mit der sie Daniel aufrief, wurde höher.
    Daniel
stand auf und ging in die Küche, um sich ein Bier zu holen.
Angeblich förderte das erste Bier die Konzentration. Es
beruhigte. Er musste ruhig werden. Denken half vielleicht.
    An
der Kühlschranktür fiel sein Blick auf die Magnetbilder,
die darauf angebracht waren:
    Homer
Simpson. Me Hungry .
    Eine
grüne Heuschrecke.
    Ein
ostdeutsches Ampelmännchen. Gehend. Auch grün.
    Das
mit verschiedenfarbigen Magnetbuchstaben wellenförmig gesetzte
Wort HiStoRy .
    Ein
Pin-up-Sticker. Eine Blondine mit hochgesteckten Haaren und großen
Titten seift einen Fünfzigerjahre-Cadillac ein. Viel Chrom.
Heckflossen. Und natürlich Titten.
    Der
ganze Kühlschrank war ein Gesprächsangebot.
    Daniel
öffnete die Kühlschranktür, holte eine Bierflasche
heraus und öffnete sie mit einem Flaschenöffner, der an der
Wand neben dem Kühlschrank in einer Halterung steckte. Erst nach
dem Öffnen der Flasche schloss Daniel den Kühlschrank.
Eigentlich Energieverschwendung.
    Sein
Blick fiel erneut auf die bunten Magnetbuchstaben. Seit Daniels
letztem Besuch waren sie neu angeordnet worden. Vielleicht nur
Zufall.
    HiStoRy .
    Maik
wusste, dass er sich für Geschichte interessierte. War das eine
Nachricht?
    Daniel
nahm einen Schluck aus der Bierflasche. Sofort tat es ihm gut.
    Wenn
es eine Nachricht sein sollte, dann war sie nicht sehr erhellend. So
schlau, dass die ganze Scheiße mit Geschichte zu tun haben
könnte, womöglich mit seiner eigenen, so schlau war Daniel
auch ohne Kühlschrankdepeschen. Afghanistan. Scheißgeschichte.
Natürlich ist man erst hinterher schlauer. Wahrscheinlich macht
in zweihundert Jahren der History Channel eine zehnteilige Reihe aus
dem Afghanistan-Krieg. Mit einer neutralen Sicht auf die
tatsächlichen Ereignisse. Daniel war nicht neutral. Selbst, was
die tatsächlichen Ereignisse anging.
    Das
Wort HiStoRy klebte wie Scheiße am Kühlschrank.
    Was
wollte Maik damit sagen? War es eine Art Code?
    Daniel
trank noch einmal. Allmählich straffte das Bier die
Konzentration. Botox-Behandlung fürs Hirn.
    Mit
zusammengekniffenen Augen musterte Daniel die bunten
Magnetbuchstaben. Er rieb sich über das Kinn. Die Bartstoppeln
knisterten laut. Wann hatte er sich das letzte Mal rasiert? Bevor
oder nachdem er etwas gegessen hatte?
    HiStoRy .
    Daniel
ging zurück zum Notebook und rief im Browser die History auf.
Vor ihm erschien die Liste der zuletzt durchgeführten Aktionen.
Heute. Gestern. Letzte sieben Tage. Letzte sechs Monate. Älter
als sechs Monate. Das Netz vergisst nichts. Vor allem, wenn man sich
wie Maik keine Mühe machte, seine eigene Geschichte zu
verbergen.
    Daniel
klickte auf Heute . Sofort erschien der digitale Verlauf des
Tages. Die seit Mitternacht aufgerufenen Seiten.
    Afghanistan.
    Afghanistan.
    Interessiert
beugte sich Daniel nach vorne.
    Seine
eigenen Einsätze. Die Presseberichte darüber. Ein Video bei
YouTube, das während einer Party im Camp mit einer Handykamera
aufgenommen worden war. Scheppernder Blechsound. Das Handy kam mit
der Lautstärke nicht zurecht. Mit dem Gegröle der
Betrunkenen. Den vielen Geräuschen. Nur selten konnte man die
Songs erkennen. Kunz. Pöhlmann. Timo. Er selbst. Alle tanzen.
Saufen. Dauernd Bierbüchsen in der Hand. Ständig
fotografieren oder filmen sich die Soldaten mit dem Handy.
Vielleicht, um das Leben zu konservieren. Daniel sieht im Video
jünger aus. Sogar jünger, als er sich in Erinnerung hatte.
    Daniel
dachte nach. Noch ein Schluck Bier zur Unterstützung.

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