Kriminalgeschichte des Christentums Band 05 - Das 9 und 10 Jahrhundert
Elemente in den Vordergrund« (Schramm). 22
Bereits über unseren Zeitraum hinaus, Jahrzehnte ins 11. Jahrhundert hinein reicht ein Pfaffenzwist, der noch unter Otto III. beginnt und kulminiert und darum hier anschließend einbezogen werden soll.
Der Gandersheimer Streit
Gandersheim, das älteste Familienstift der Liudolfinger, wurde von dem Grafen Liudolf, dem Ahnherrn des sächsischen Kaiserhauses, Mitte des 9. Jahrhunderts gegründet (S. 375 f.). Erst hatte der fromme Mann dazu sein Familiengut Brunshausen bestimmt, dann jedoch dafür einen kleinen, von Moor und Sumpf umgebenen Hof ausersehen, eine Unterkunft seiner Schweinehirten. Nun gehörte Brunshausen zum Bistum Hildesheim, der Schweinehirtenhof aber, der sich zum Nonnenkloster Gandersheim auswuchs, vermutlich zum Gebiet des Mainzer Erzbischofs. Demzufolge hatte die erste Äbtissin, ursprünglich für Brunshausen vorgesehen, der Diözesanbischof Altfried von Hildesheim konsekriert, während die zweite, nur in Gandersheim wirkende, von den Bischöfen von Hildesheim und Mainz gleichzeitig ordiniert worden war.
Der Streit um das reichbegüterte Stift entzündete sich sozusagen durch Sophie, die älteste Tochter Kaiser Ottos II. und der Theophanu. Bereits 979 als etwa Vierjährige dem Stift Gandersheim übergeben, sollte Sophie eine »Magd Gottes« werden, verschmähte es freilich strikt, von ihrem Hildesheimer Bischof, »dem Herrn Osdag, den heiligen Schleier zu empfangen, und wandte sich an Willigis. Denn sie hielt es für unter ihrer Würde, von einem Bischof eingesegnet zu werden, der kein Palliumträger war« (Vita Bernwardi). Sie wollte einen Metropoliten, den mächtigen Mainzer (wie sie später, zur Äbtissin gewählt, für die Weihe wieder einen Palliumträger erbat und bekam), das versteht sich für demütige Christen von selbst. Der Erzbischof, unter dessen anregendem Einfluß sie vermutlich ohnedies stand, brachte dafür um so mehr Verständnis auf, als das Erzbistum Mainz seit der Gründung des Erzbistums Magdeburg schon die Bistümer Brandenburg und Havelberg verloren hatte, weitere Einbußen vermeiden wollte und auch »offenbar mit Recht alte territoriale Ansprüche auf das Gandersheimer Gebiet erheben konnte« (Goetting).
So forderte Willigis erstmals anno domini 987 die Oberhoheit über das Kloster. Als dort am 18. Oktober die inzwischen etwa zwölfjährige Kaisertochter Sophie zur Nonne geweiht wurde (Willigis kämpfte kurz zuvor noch auf Ottos III. böhmischem Kriegszug), brach zwischen dem Erzbischof und seinem Suffragan, dem Bischof Osdag von Hildesheim, im Beisein des siebenjährigen Königs, der Kaiserin Theophanu nebst mehreren Bischöfen und Fürsten in der Kirche vor dem Altar über den Besitz von Gandersheim ein langer und heftiger Wortwechsel aus. Jeder der beiden Brüder in Christo rechnete das Stift seinem Sprengel zu, Willigis dem Erzbistum Mainz, Osdag seinem Suffraganbistum Hildesheim. Und der »Herr Osdag« – in einer zeitgenössischen Denkschrift als »simplicis animi vir« figurierend – ließ sich nicht durch den Erzbischof einschüchtern, sondern »auf göttliche Eingebung seinen Bischofsstuhl neben dem Altar aufstellen, um auf diese Weise den Ort und sein Herrschaftsrecht zu verteidigen« (Vita Bernwardi). Der Streit endete damals nur mühsam mit einem Vergleich: Willigis zelebrierte ein feierliches Hochamt am Hochaltar und vollzog dann gemeinsam mit Osdag die Weihe Sophies, während die übrigen »Mägde Gottes« der Hildesheimer Bischof allein einsegnete. 23
Angeblich ging man danach »in bestem Frieden und Einvernehmen« auseinander und lebte in Eintracht sowohl unter Bischof Osdag wie seinem Nachfolger Gerdag (990–992). Doch unter dem hl. Bischof Bernward von Hildesheim (993–1022) flammte der Streit, in den auch Kaiser und Papst hineingezogen wurden, viel heftiger wieder auf und bereitete der »keimenden Liebe durch das Gift der Falschheit ein Ende« (Vita Bernwardi).
Die Sache begann zum zweitenmal, als die Nonne Sophie mit etwa zwanzig Jahren zum großen Ärger ihrer (ebenfalls schon als Kind ins Gandersheimer Stift gesteckten) Äbtissin und Cousine Gerberga II. (949–1001), einer Nichte Ottos »des Großen« und Lehrerin der Kanonissin und berühmten Dichterin Hrotsvit, Roswitha (gest. um 975), dem Kloster Gandersheim entsprang, um für immerhin mehrere Jahre am Hof ihres königlichen Bruders ein etwas unkanonisches Leben zu führen – »und ließ allerhand Gerüchte über sich kursieren« (Vita
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