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Krimkrieg: Der letzte Kreuzzug (German Edition)

Krimkrieg: Der letzte Kreuzzug (German Edition)

Titel: Krimkrieg: Der letzte Kreuzzug (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Orlando FIGES
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Krankenhäusern in Scutari.
    * * *
    In Großbritannien, Frankreich und Russland verfolgte die Öffentlichkeit diese Entwicklungen mit wachsender Anteilnahme und Besorgnis. Durch tägliche Berichte in den Zeitungen sowie durch Fotos und Zeichnungen in den Zeitschriften hatten die Menschen unmittelbaren Zugang zu den neuesten Kriegsnachrichten und ein klareres Verständnis der Realitäten als in jedem früheren Konflikt. Ihre Reaktionen wurden zu einem wichtigen Faktor bei den Planungen der Militärbehörden, die einem in Kriegszeiten nie dagewesenen Maß an öffentlicher Kritik ausgesetzt waren. Es handelte sich um den ersten Krieg der Geschichte, in dem die öffentliche Meinung eine so bedeutende Rolle spielte.
    Vor allem in Großbritannien war der Hunger nach Nachrichten groß. Artikel über die Leiden der Soldaten und die Not der Verwundeten und Kranken hatten das ganze Land in Sorge um die Situation der oberhalb von Sewastopol lagernden alliierten Armeen versetzt. Der schwere Frost in jenem Winter verstärkte die britische Besorgnis über die Männer in Russland noch zusätzlich. Der Times -Krim-Fonds und der Royal Patriotic Fund für die Unterstützung der Soldatenfamilien fanden enorme Resonanz. Menschen aus allen Gesellschaftsschichten spendeten Geld, verschickten Lebensmittelpakete und strickten warme Kleidung (darunter die »Balaklawamützen«, die damals erfunden wurden). Die Königin persönlich teilte dem Herzog von Cambridge mit, dass »der ganze weibliche Teil« des Windsor Castle, sie selbst eingeschlossen, »emsig für die Armee strickte«. 29
    In höherem Maße als in den Ländern auf dem Kontinent konnte man in Großbritannien von einer freien Presse sprechen, und diese Freiheit machte sich nun bemerkbar. Die Abschaffung der Stempelgebühr für Zeitungen im Jahr 1855 ermöglichte die Verbreitung billigerer Zeitungen, die auch Arbeiter sich leisten konnten. Im Krimkrieg wurden nicht nur viele Briefe von Offizieren und gemeinen Soldaten veröffentlicht, sondern es bildete sich auch ein neuer Typ des »Kriegskorrespondenten« heraus, der die Ereignisse des Schlachtfelds an den Frühstückstisch der Mittelschicht brachte. In früheren Kriegen hatten Zeitungen auf die Berichte von ungeschulten »Agenten« – gewöhnlich Diplomaten oder spezielle Offiziere bei den Streitkräften – zurückgreifen müssen (eine Tradition, die sich bis ans Ende des 19. Jahrhunderts fortsetzte, als der junge Winston Churchill als aktiver Heeresoffizier aus dem Sudan berichtete). Diese Artikel stützten sich gewöhnlich auf Militärkommuniqués und unterlagen der Zensur durch die Behörden; nur selten lieferte ein Agent Berichte aus erster Hand über Geschehnisse, die er selbst miterlebt hatte. Die Situation änderte sich allmählich in den 1840er und frühen 1850er Jahren, als Zeitungen in wichtigen Gegenden Auslandskorrespondenten einstellten, etwa Thomas Chenery, den Times -Korrespondenten in Konstantinopel seit März 1854, der die Nachricht über die schrecklichen Zustände in den Krankenhäusern von Scutari übermittelte. 30
    Die Erfindung des Dampfschiffs und des Telegrafen versetzte Zeitungen in die Lage, ihre eigenen Reporter in Kriegsgebiete zu schicken und deren Artikel innerhalb von Tagen zu drucken. Informationen wurden während des Krimkriegs immer rascher weitergegeben, da man etappenweise ein Telegrafennetz aufbaute, um die Schlachtzone mit den europäischen Hauptstädten zu verbinden. Zu Beginn des Krimfeldzugs gelangten die raschesten Meldungen innerhalb von fünf Tagen nach London: zwei Tage mit dem Dampfer von Balaklawa nach Warna und drei mit einem Reiter nach Bukarest, der nächstgelegenen Telegrafenstation. Im Winter 1854, nachdem die Franzosen eine Telegrafenverbindung nach Warna hergestellt hatten, wurden Neuigkeiten innerhalb von zwei Tagen übermittelt, und Ende April 1855, als die Briten ein Unterwasserkabel zwischen Balaklawa und Warna verlegten, gelangten Meldungen innerhalb von Stunden nach London. ***
    Wesentlich waren nicht nur die Geschwindigkeit der Nachrichtenübermittlung, sondern auch die Offenheit und Detailliertheit der Presseberichte, die man täglich in den Zeitungen lesen konnte. Unbehindert von jeglicher Zensur, schrieben die Krim-Korrespondenten ausführlich für eine Leserschaft, deren Hunger nach Nachrichten über den Krieg einen Aufschwung für Zeitungen und Zeitschriften auslöste. Durch ihre lebhaften Schilderungen der Kämpfe, der unsäglichen Lebensverhältnisse und der

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