Krimkrieg: Der letzte Kreuzzug (German Edition)
erforderlich war. Bei Apriltemperaturen von 26 Grad dürften Fentons Soldaten in der Hitze geschmort haben. 32
Männer des 68. Regiments in Winterkleidung (1855)
Während Fentons Kamera log, galt dies keineswegs für William Russells Berichte in der Times , die am meisten dazu beitrugen, die britische Öffentlichkeit über die wahren Kriegsbedingungen zu informieren. Russell war der wichtigste und populärste Krim-Reporter. 1820 als Sohn einer angloirischen Familie bei Dublin geboren, begann Russell 1841, während der Parlamentswahlen in Irland, für die Times zu arbeiten. Er hatte erst über einen einzigen kleinen Grenzkonflikt zwischen preußischen und dänischen Soldaten im Jahr 1850 Bericht erstattet, als John Delane, der Herausgeber der Zeitung, ihn im Februar 1854 mit der Gardebrigade nach Malta schickte. Delane versprach dem Oberbefehlshaber, dass Russell vor Ostern heimkehren werde, doch der Journalist verbrachte die folgenden beiden Jahre bei der britischen Armee, schrieb fast täglich über die neuesten Ereignisse auf der Krim und enthüllte viele Versäumnisse der Militärbehörden. Durch Russells anglo-irische Herkunft war seinen Berichten eine kritische Distanz zum englischen Militärestablishment eigen, dessen Inkompetenz er stets ohne Zögern verurteilte. Seine Sympathie galt eindeutig den gemeinen Soldaten, ein gutes Drittel davon Iren, die durch seine entspannte Art zum Reden ermuntert wurden. Henry Clifford beschrieb ihn als
einen vulgären Iren von niederer Geburt, einen abtrünnigen Katholiken …, aber er hat ein flottes Mundwerk und benutzt seine Feder so gut wie seine Zunge, kann Lieder singen, trinkt jedermanns Brandy und Wasser, raucht so viele Zigarren, wie närrische junge Offiziere ihm gestatten, und wird von den meisten im Lager für einen »Jolly Good Fellow« gehalten. Er ist genau der Mann, der sich Informationen verschaffen kann, besonders bei jungen Soldaten. 33
Das Militärestablishment verachtete Russell. Raglan befahl seinen Offizieren, nicht mit dem Reporter zu sprechen, da dieser ein Sicherheitsrisiko darstelle. Besonders erbost war er darüber, dass die Times Briefe von Offizieren und Soldaten veröffentlichte, in denen die erbärmlichen Lebensbedingungen der Truppe hervorgehoben wurden. Man munkelte, die Presse zahle Geld für solche Briefe, von denen manche nicht für die Veröffentlichung bestimmt gewesen, sondern von Verwandten an die Zeitungen weitergereicht worden waren. Die Vertreter der Militärbehörden, die größeren Wert auf Loyalität und Gehorsam als auf das Wohlergehen der Soldaten legten, empörten sich über Briefschreiber, die aus der Reihe tanzten. »Offiziere verfassen absurdere und frechere Briefe denn je, oder die Times heckt sie an ihrer Stelle aus. Jedenfalls ist es sehr schlecht und unsoldatisch von ihnen«, tobte Major Kingscote von den Scots Guards und vom Stabsquartier. »Ich bin immer noch der Meinung, dass die Soldaten frohgemut sind und immer bester Laune zu sein scheinen. Die Offiziere sehe ich seltener, aber mir fällt eines auf: Je mehr aristokratisches Blut sie in den Adern haben, desto weniger murren sie – den Behauptungen der Times zum Trotz.«
Raglan ging zum Angriff über. Am 13. November teilte er dem Kriegsminister, dem Herzog von Newcastle, mit, die Times habe Einzelheiten veröffentlicht, die dem Feind nützlich sein könnten. Tatsächlich war zu hören, dass die Moral der Russen durch Russells Artikel über Nachschubmängel und die üble Verfassung der Soldaten gestärkt worden sei (der Zar selbst hatte die Berichte in St. Petersburg gelesen). Als Reaktion auf Raglans Schreiben erteilte der stellvertretende Militärstaatsanwalt William Romaine den britischen Reportern auf der Krim eine Warnung, und Newcastle schrieb an ihre Herausgeber. Delane ließ sich jedoch nicht dazu bewegen, die Pressefreiheit einzuschränken. Da er Raglan für inkompetent hielt, war es für ihn eine Sache des nationalen Interesses, die schlechte Verwaltung der Armee bloßzustellen, weshalb er Hinweise auf die nationale Sicherheit außer Acht ließ. Am 23. Dezember wurden dem Oberkommando in einem Leitartikel der Times Unfähigkeit, bürokratische Lethargie und offensichtlicher Nepotismus bei der Ernennung von Raglans persönlichem Stab (nicht weniger als fünf seiner Adjutanten waren Neffen von ihm) vorgeworfen. Der letztere Punkt war der wohl schädlichste in einem Konflikt, der sich rasch zu einem umfassenderen politischen Kampf zwischen dem
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