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Krimkrieg: Der letzte Kreuzzug (German Edition)

Krimkrieg: Der letzte Kreuzzug (German Edition)

Titel: Krimkrieg: Der letzte Kreuzzug (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Orlando FIGES
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Leiden der Männer brachten sie den Krieg in jeden Haushalt und ermöglichten der Öffentlichkeit, sich aktiv an der Debatte darüber zu beteiligen, wie er geführt werden solle. Nie zuvor hatten so viele Leser an die Times und andere Zeitungen geschrieben wie während des Krimkriegs (fast alle steuerten Bemerkungen und Meinungen darüber bei, wie der Feldzug verbessert werden könne). **** Nie waren so viele Angehörige des britischen Mittelstands politisch derart mobilisiert worden. Sogar entlegene Landgebiete waren plötzlich Nachrichten über Weltereignisse ausgesetzt. In seinen erfolgreichen Memoiren macht der Dichter Edmund Gosse die Auswirkungen des Krieges auf seine Familie, zurückgezogene Mitglieder einer kleinen christlichen Sekte in der Gegend von Devon, deutlich: »Die Kriegserklärung an Russland ließ den ersten Hauch des äußeren Lebens in unser calvinistisches Kloster eindringen. Meine Eltern bezogen eine Tageszeitung, was sie vorher nie getan hatten, und die Ereignisse an malerischen Orten, die mein Vater und ich auf der Karte heraussuchten, wurden eifrig diskutiert.« 31
    Die öffentliche Gier nach anschaulichen Berichten über den Krimfeldzug war unstillbar. Kriegstouristen wie Fanny Duberly mit ihren Erzählungen aus erster Hand fanden eine gespannte Leserschaft. Das größte Interesse war freilich visuellen Darstellungen vorbehalten. Lithografien konnten rasch und billig in Zeitschriften wie den Illustrated London News produziert werden, die während des Krimkriegs einen gewaltigen Anstieg ihrer wöchentlichen Verkaufszahlen erlebten. Vor allem Fotos weckten das Interesse der Öffentlichkeit – sie schienen ein »realistisches« Bild des Krieges zu vermitteln – , und es gab eine erhebliche Nachfrage nach den Fotoalben von James Robertson und Roger Fenton, die sich beide auf der Krim einen Namen machten. Die Fotografie betrat gerade erst die Bühne – die britische Öffentlichkeit war durch ihre Vorführung auf der Weltausstellung von 1851 begeistert worden – , und dieser Krieg war der erste, der fotografiert und von der Öffentlichkeit zu einem Zeitpunkt »gesehen« wurde, da die Kämpfe noch andauerten. Es hatte Daguerreotypien des mexikanisch-amerikanischen Kriegs von 1846–1848 und Kalotypien des anglo-burmesischen Kriegs von 1852/53 gegeben, doch dabei handelte es sich um primitive und verschwommene Bilder, verglichen mit den Fotografien des Krimkriegs, die so »genau« und »unmittelbar« wirkten und ein »direktes Fenster in die Realitäten des Krieges« darstellten, wie eine Zeitung damals bemerkte. In Wirklichkeit war dies keineswegs der Fall. Die Beschränkungen des Nassplattenverfahrens (bei dem die Glasplatte bis zu 20 Sekunden lang belichtet werden musste) machten es so gut wie unmöglich, Bewegungen zu fotografieren (allerdings verbesserten sich die Techniken, so dass dies während des Amerikanischen Bürgerkriegs in den frühen 1860er Jahren machbar wurde). Die meisten von Robertsons und Fentons Fotos sind gestellte Porträts und Landschaften, von den Genres der Malerei abgeleitete Bilder, welche die Geschmäcker und Empfindungen der heimischen Mittelschicht ansprachen. Obwohl beide Männer zahlreiche Todesfälle gesehen hatten, zeigte keiner sie auf seinen Fotos – immerhin lieferte Fenton einen symbolischen Hinweis auf seinem berühmtesten Bild Das Tal des Todesschatten , einer öden, mit Kanonenkugeln übersäten Landschaft (er schob die Kugeln dicht aneinander, um die Wirkung zu erhöhen) – , weil ihre Bilder mit der vorherrschenden Auffassung der viktorianischen Gesellschaft von einem gerechten und rechtschaffenen Krieg im Einklang stehen mussten. Die bereinigte Darstellung des Krieges in Robertsons Werk hatte mehr mit kommerziellem Druck als mit Zensur zu tun, doch im Fall Fentons, eines Hoffotografen, der unter anderem deshalb auf die Krim entsandt worden war, um der negativen Darstellung der Kampagne in der Times und anderen Zeitungen entgegenzuwirken, ist ein Element der Propaganda nicht zu verkennen.
    Das Tal des Todesschatten (1855)
    Um die Öffentlichkeit zum Beispiel zu überzeugen, dass die britischen Soldaten warm gekleidet waren, nahm Fenton ein paar Männer auf, die kurz zuvor von der Regierung geschickte gute Stiefel und schwere Schaffellmäntel trugen. Fenton traf jedoch erst im März 1855 auf der Krim ein, und das Porträt entstand nicht vor Mitte April, als die Eiseskälte bereits viele Opfer gekostet hatte und warme Kleidung längst nicht mehr

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