Krimkrieg: Der letzte Kreuzzug (German Edition)
Sensibilität möglicherweise »weniger leicht zu handhaben« sein würden.
Nightingale traf mit ihren 38 Krankenschwestern am 4. November 1854 in Scutari ein – gerade rechtzeitig für den Massentransport der Verwundeten nach der Schlacht von Balaklawa. Die Franzosen hatten bereits die besten Gebäude zu Krankenhäusern gemacht, und die Briten mussten sich mit stark überfüllten Lazaretten in einem entsetzlichen Zustand zufriedengeben. Die Sterbenden lagen zusammen mit den Kranken und Verwundeten auf Decken und Matratzen, die man auf dem schmutzigen Fußboden zusammengeschoben hatte. Obwohl viele Männer an Durchfall litten, bestanden die Toilettenanlagen aus großen Holzkübeln auf den Stationen und in den Fluren. Es gab kaum Wasser, da die alten Rohre gebrochen waren, und das Heizsystem funktionierte nicht. Innerhalb von Tagen nach Nightingales Ankunft verschlechterte sich die Situation erheblich, denn Hunderte von weiteren Verwundeten drängten nach der Schlacht von Inkerman ins Krankenhaus. Die Verfassung dieser Männer war »wirklich beklagenswert«, wie Walter Bellew, ein Assistenzarzt im Hyder-Pascha-Krankenhaus bei Scutari, in seinem Tagebuch verzeichnete: »Viele wurden bereits tot von Bord getragen, etliche starben unterwegs zu den Lazaretten, und die Übrigen befanden sich in einem bedauernswerten Zustand; ihre Kleidung war durch Dreck und Darmausscheidungen verschmutzt, Schießpulver & Schlamm etc. schwärzten ihre Hände und Gesichter, und an ihren Körpern wimmelte es von Ungeziefer.« Pro Tag starben fünfzig bis sechzig Männer. Sobald einer den letzten Atemzug getan hatte, wurde er in seine Decke genäht und in einem Massengrab neben dem Krankenhaus bestattet, während ein anderer Patient sein Bett übernahm. Die Schwestern arbeiteten rund um die Uhr, um die Männer zu füttern und zu waschen, sie mit Arzneien zu versorgen und ihnen vor dem Tod Trost zu spenden. Viele Schwestern waren der Belastung nicht gewachsen und begannen, heftig zu trinken; einige klagten über die herrische Art von Miss Nightingale und über ihre niedere Tätigkeit. Sie alle wurden von Nightingale nach Hause geschickt. 28
Gegen Ende Dezember verfügte Florence Nightingale über eine zweite Gruppe von Krankenschwestern und hatte die Kontrolle über den Times -Krim-Fonds, was ihr ermöglichte, Vorräte und Medikamente für sämtliche britischen Krankenhäuser in Scutari zu kaufen. Sie konnte auf eigene Initiative handeln, ohne von den Militärbehörden behindert zu werden, die auf Nightingales finanzielle und administrative Stärke angewiesen waren, wenn sie vor der medizinischen Katastrophe gerettet werden wollten. Florence Nightingale war eine fähige Verwalterin. Obwohl diejenigen, die sie später zum Mittelpunkt eines Kultes machten, ihren Einfluss überschätzten (und den Beitrag der britischen Sanitätsoffiziere, Verbandsschwestern und Apotheker fast völlig ignorierten), besteht kein Zweifel daran, dass sie die Dinge im Hauptkrankenhaus von Scutari in Bewegung brachte. Sie organisierte die Küchen um, erwarb neue Boiler, stellte türkische Wäscherinnen an, beaufsichtigte deren Arbeit ebenso wie die Säuberung der Stationen und machte nach einem Zwanzigstundentag abends ihre Runden, um den Männern christlichen Trost zu spenden, wofür sie als »Lady mit der Lampe« bekannt wurde. Aber trotz all ihrer Bemühungen stieg die Sterbeziffer weiter alarmierend. Im Januar fielen 10 Prozent der britischen Armee im Orient Krankheiten zum Opfer. Im Februar lag die Todesrate der Patienten in Scutari bei 52 Prozent, obwohl sie bei Nightingales Ankunft im November nur 8 Prozent betragen hatte. Insgesamt starben in den vier Monaten nach dem Orkan 4000 Soldaten, die allermeisten unverwundet, in den Krankenhäusern von Scutari. Die britische Öffentlichkeit war entsetzt über die Verluste. Die Leser der Times forderten eine Erklärung, und Anfang März reiste eine von der Regierung ernannte Gesundheitskommission zu Ermittlungen nach Scutari. Sie stellte fest, dass das größte Kasernenkrankenhaus über einer Senkgrube gebaut worden war, dass die Abflussrohre leckten und Jauche ins Trinkwasser sickerte. Florence Nightingale war sich der Gefahr nicht bewusst, denn sie glaubte, dass Infektionen durch kontaminierte Dämpfe verursacht würden. Aber die sanitären Anlagen im Krankenhaus waren offensichtlich unzureichend. Die Soldaten in ihrer Obhut hätten in jedem türkischen Dorf eine bessere Überlebenschance gehabt als in Nightingales
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