Krimkrieg: Der letzte Kreuzzug (German Edition)
Vertrag von 1740 beriefen, durch den, wie sie behaupteten, die Rechte der Katholiken auf die Grotte, speziell zur Instandhaltung des Sterns, gesichert würden. Die Griechen aber erhoben gegenteilige Ansprüche, die sich auf das Gewohnheitsrecht und auf Konzessionen der Pforte stützten. 9 Dieser nebensächliche Konflikt wegen eines Kirchenschlüssels markierte den Beginn einer diplomatischen Krise um die Kontrolle der heiligen Stätten, die weitreichende Folgen haben sollte.
Neben den Schlüsseln zu der Kirche in Bethlehem forderten die Franzosen für die Katholiken, ebenfalls auf Grundlage des Vertrags von 1740, das Recht, das Dach der Grabeskirche zu reparieren, welches dringender Aufmerksamkeit bedurfte. Der größte Teil des Bleis war an einer Seite entfernt worden (die Griechen und Lateiner bezichtigten einander dieses Vergehens). Regen sickerte durchs Dach, und Vögel konnten in der Kirche umherfliegen. Nach türkischem Gesetz war der Besitzer des Daches auch der Besitzer des Hauses. Folglich wurde das Recht, die Reparaturen auszuführen, heftig von Lateinern und Griechen umkämpft, da es sie in den Augen der Türken zu den legitimen Beschützern des Heiligen Grabes machte. Russland lehnte die Ansprüche der Franzosen ab und unterstützte die Gegenforderungen der Orthodoxen, die sich auf den Vertrag von Kutschuk-Kainardsche beriefen; diesen hatten die Türken nach ihrer Niederlage durch Russland im Krieg von 1768–1774 unterzeichnet. Den Russen zufolge war ihnen durch den Vertrag das Recht verliehen worden, die Interessen der Rechtgläubigen im Osmanischen Reich zu vertreten. Diese Aussage hatte wenig mit der Wahrheit zu tun, denn die Sprache des Vertrags war zweideutig und wurde durch verschiedene Übersetzungen verzerrt (die Russen unterzeichneten den Vertrag in russischer und italienischer, die Türken in türkischer und italienischer Sprache, wonach die Russen ihn zu diplomatischen Zwecken ins Französische übersetzten). 10 Trotzdem wurde durch russischen Druck auf die Hohe Pforte sichergestellt, dass die Lateiner im Hintertreffen blieben. Die Türken spielten auf Zeit und entzogen sich dem Problem, indem sie beiden Seiten gegenüber versöhnliche Äußerungen abgaben.
Der Konflikt vertiefte sich im Mai 1851, als Louis-Napoléon seinen engen Freund, den Marquis Charles de La Valette, zum Botschafter in der türkischen Hauptstadt ernannte. Zweieinhalb Jahre nach seiner Wahl zum Präsidenten Frankreichs mühte Napoleon sich immer noch, seine Macht über die Nationalversammlung zur Geltung zu bringen. Um seine Position zu stärken, hatte er der katholischen öffentlichen Meinung eine Reihe von Zugeständnissen gemacht: 1849 hatten französische Soldaten den Papst nach Rom zurückbegleitet, nachdem er von revolutionären Menschenmengen aus dem Vatikan vertrieben worden war; und das Falloux-Gesetz von 1850 eröffnete die Möglichkeit, die Zahl der katholischen Schulen zu erhöhen. Die Ernennung von La Valette war eine weitere wichtige Konzession an die Kirchenmeinung. Der Marquis, ein inbrünstiger Katholik, spielte eine führende Rolle in der schattenhaften »klerikalen Partei«, von der weithin vermutet wurde, dass sie insgeheim die Fäden in der Außenpolitik Frankreichs zog. Der Einfluss dieser Kirchenfraktion war besonders stark im Hinblick auf die Politik Frankreichs an den heiligen Stätten, wo sie eine feste Haltung gegenüber der orthodoxen Bedrohung forderte. La Valette ging weit über seinen Auftrag hinaus, als er sein Amt als Botschafter antrat. Auf der Reise nach Konstantinopel machte er außerplanmäßig in Rom halt, um den Papst zur Unterstützung des französischen Einsatzes für die Katholiken im Heiligen Land zu überreden. Nachdem er seinen Posten in Konstantinopel übernommen hatte, benutzte er im Umgang mit der Hohen Pforte eine betont aggressive Sprache – eine Taktik, die laut La Valette »den Sultan und seine Minister veranlassen sollte«, vor französischen Interessen »zurückzuschrecken und zu kapitulieren«. Die katholische Presse stellte sich geschlossen hinter La Valette, besonders das einflussreiche Journal des débats , dessen Herausgeber eng mit ihm befreundet war. La Valette lieferte der Presse seinerseits Zitate, welche die Situation anheizten und den Zaren, Nikolaus I., erbosten. 11
Im August 1851 bildeten die Franzosen eine gemeinsame Kommission mit den Türken, um über die Frage der religiösen Rechte zu diskutieren. Die Arbeit zog sich ergebnislos hin, während die
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