Krimkrieg: Der letzte Kreuzzug (German Edition)
zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts ausgefochten worden (1686–1699, 1710/11, 1735–1739, 1768–1774, 1787–1792, 1806–1812 und 1828/29). Der Krimkrieg und der spätere russisch-türkische Krieg von 1877/78 bildeten keine Ausnahmen von der Regel. Die von diesen Festungen verteidigten Grenzgebiete waren religiöse Schlachtfelder, die Bruchlinie zwischen Orthodoxie und Islam.
Zwei Regionen hatten in diesen russisch-türkischen Kriegen eine besondere Bedeutung: das Donaudelta (das die Fürstentümer Moldau und Walachei umfasste) und die Nordküste des Schwarzen Meeres (einschließlich der Halbinsel Krim). Sie sollten zu den beiden Hauptschauplätzen des Krimkriegs werden.
Mit seinen breiten Flüssen und verseuchten Sümpfen war das Donaudelta eine entscheidende Pufferzone, die Konstantinopel gegen einen Landangriff durch die Russen abschirmte. Die Lebensmittelzufuhr über die Donau war unerlässlich für die türkischen Festungen ebenso wie für jedes russische Heer, das die osmanische Hauptstadt attackierte, weshalb die Parteinahme der bäuerlichen Bevölkerung in diesen Kriegen einen entscheidenden Faktor darstellte. Die Russen appellierten an den orthodoxen Glauben der Bauern, um sie für einen Befreiungskrieg gegen die muslimische Herrschaft auf ihre Seite zu ziehen, während die Türken eine Politik der verbrannten Erde betrieben. Hunger und Krankheit wurden den vorrückenden Russen wiederholt zum Verhängnis, während sie in die Donauländer marschierten, deren Ernten von den zurückweichenden Türken vernichtet worden waren. Jeder Angriff auf die türkische Hauptstadt hing mithin davon ab, dass die Russen einen Seeweg – durch das Schwarze Meer – einrichteten, um ihre Soldaten zu versorgen.
Die Nordküste des Schwarzen Meeres und der Krim wurde von den Osmanen aber ebenfalls als Pufferzone gegenüber Russland verwendet. Statt die Gegend zu kolonisieren, verließen sie sich darauf, dass ihre dortigen Vasallen, die turksprachigen Tatarenstämme des Krim-Khanats, die Grenzen des Islams gegen christliche Invasoren verteidigten. Beherrscht von der Giray-Dynastie, die direkt von Dschingis Khan abstammte, war das Krim-Khanat der letzte noch bestehende Außenposten der Goldenen Horde. Vom 15. bis zum 18. Jahrhundert hatte sich ihr Reiterheer ungehindert auf den südlichen Steppen zwischen Russland und der Schwarzmeerküste bewegen können. Durch ihre Überfälle auf den Moskowiter Staat lieferten die Tataren einen regelmäßigen Nachschub an slawischen Sklaven für den Verkauf auf den Sexmärkten und für die Rudergaleeren von Konstantinopel. Die Zaren von Russland und die Könige von Polen zahlten dem Khan Tribut, um seine Männer von ihren Gebieten fernzuhalten. 14
Seit dem Ende des 17. Jahrhunderts, als Russland die Ukraine in ihren Besitz brachte, führte es einen langwierigen Kampf, um diese Pufferzonen der osmanischen Kontrolle zu entreißen. Die Warmwasserhäfen des Schwarzen Meeres, so unentbehrlich für die Entwicklung der russischen Handels- und Seemacht, waren die strategischen Objekte in diesem Krieg, doch religiöse Interessen standen nie weit hinter ihnen zurück. So verlangte Peter der Große 1699, nachdem Russland und seine Verbündeten die Osmanen besiegt hatten, von den Türken eine Garantie für die griechischen Rechte am Heiligen Grab und freien Zugang für alle Russen zum Heiligen Land. Das Ringen um die Donaufürstentümer (Moldau und Walachei) war ebenfalls zum Teil ein Religionskrieg. Im russisch-türkischen Konflikt von 1710/11 befahl Peter seinen Soldaten, den Fluss Pruth zu überqueren und die Fürstentümer zu besetzen, da er hoffte, einen Aufstand der christlichen Bevölkerung gegen die Türken herbeizuführen. Aber der Aufstand blieb aus. Gleichwohl war der Gedanke, dass Russland seine Glaubensbrüder im Osmanischen Reich auffordern könne, die Türkenherrschaft zu untergraben, in den folgenden 200 Jahren ein Kernstück der zaristischen Politik.
Diese Politik nahm unter Katharina der Großen (1762–1796) formelle Gestalt an. Nach ihrem vernichtenden Sieg über die Osmanen im Krieg von 1768–1774, in dem sie die Fürstentümer erneut besetzt hatten, verlangten die Russen in territorialer Hinsicht relativ wenig von den Türken, bevor sie sich zurückzogen. Durch den Vertrag von Kutschuk-Kainardsche (1774) wurden ihnen nur ein kleiner Streifen der Schwarzmeerküste zwischen den Flüssen Dnepr und Bug (einschließlich des Hafens Cherson), die Kabarda-Region des Kaukasus und die
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