Kristina, vergiß nicht
ihr.
»Ihr müsst die Wohnung nehmen, hörst du?«
»Ja, Großmutter. Es ist schon der Vertrag gemacht. Nächste Woche ziehen wir ein.«
»Gut. Das ist gut«, hauchte Großmutter und schloss die Augen wieder. »Und den John, Kind, den halt fest.«
Der Arzt schaute kurz ins Zimmer, beruhigte die eine Frau, die unbedingt entlassen werden wollte, und sagte zu Kristina: »Das Schwerste hat Ihre Großmutter hinter sich.« Er fühlte kurz ihren Puls. »In ein paar Tagen lacht sie wieder.«
Vater und Mutter kamen am Abend und brachten Blumen. Aber Großmutter sah nicht die Blumen und lachte nie mehr. Sie starb in der Morgenfrühe. Kristina, Janec, Vater, Mutter kamen, als der Pfarrer aus dem Badezimmer kam, in das man die Sterbende geschoben hatte.
»Sie ist ruhig gestorben«, sagte er.
Vater starrte auf Großmutter. Seine Hände krampften sich um das Rohrgestänge der Bahre. Ein paar kurze Sätze stieß er hervor, heiser, erstickt. Und er sprach polnisch. Nach einer Weile hatte er sich wieder in der Gewalt.
»Hat sie nichts mehr gesagt?«, fragte Mutter.
»Nur einen Satz. Ungefähr so: Es ist gut. Meine Augen haben es gesehen, das Land. Ich habe bekommen, was ich wollte.«
Drei Tage später wurde Großmutter beerdigt. Vater bestand darauf, dass das Grab in Sandberg sein sollte.
»Denn da sind wir jetzt zu Hause«, hatte er gesagt.
Ganz so kümmerlich, wie sie befürchtet hatten, wurde die Beerdigung nicht. Die Verwandten, die schon seit 1945 im Westen waren, hatten es sich nicht nehmen lassen zu kommen. Der alte Johannes Bienmann war schon 74 Jahre und ziemlich klapprig.
»Das Wiedersehen habe ich mir anders gewünscht«, sagte er. Seine Kinder waren auch da und Hubertus ebenfalls. Außer den Bienmanns waren Janina, Weronika, Stanek und John gekommen.
Janec hielt sich neben Kristina, als sie von der Leichenhalle zur Grabstätte am anderen Ende des Friedhofs gingen.
»Läufst zum letzten Mal hinter ihr her«, sagte er leise. »Jetzt wirst du allein laufen müssen.«
»Sie hat’s mir beigebracht«, antwortete Kristina.
Es regnete in das offene Grab hinein. Die sechs Träger, alte Männer, die vom Beerdigungsinstitut gestellt worden waren, ließen den Sarg an den Seilen hinab, warfen ihre weißen Handschuhe in das Erdloch und hoben knapp die Zylinder.
Für zehn Mark pro Mann gehörte das zu ihrem Programm. Der Pfarrer betete laut und ließ sich durch den Regen nicht zur Eile treiben. Wolf, der mitgetrottet war, stand neben Kristina vor der Grube. Das Wasser troff ihm aus dem Fell. Er schnappte nicht, als die schwere Erde auf den Sargdeckel aufschlug.
Es dauerte nicht lange, bis alle ihre drei Schaufeln Erde in das Grabloch geworfen hatten.
»Wie steht’s mit einer Tasse Kaffee im Gasthaus?«, fragte Vater die Donatkas.
»Nein«, sagte Janina. »In zwanzig Minuten fährt unser Zug und euer Möbelwagen wird sicher bald ankommen.«
Kristina ging mit zum Bahnhof. Der Zug lief gerade ein.
Sie küsste Janina und Weronika. Stanek drückte sie die Hand. Er sagte: »Ich werde dich bald besuchen. In meinem Auto.«
»Ja, mach das, Stanek. Und bring Janina mit.«
Eine Stunde saßen die Bienmanns noch in einem Gasthaus.
»Wir müssen uns bald wiedersehen«, sagte Hubertus, als sie in die Autos stiegen. »Und nicht erst, wenn ich beerdigt werde«, rief Johannes Bienmann.
Die Packer hatten bereits die wenigen Möbel aus dem Wagen ausgeladen, als sie am Hause ankamen. John hatte einen Ast aus dem Apfelbaum gebrochen. Die zartrosa Blüten waren eben aufgesprungen. Er reichte Kristina den Zweig und sagte auf Polnisch: »Duzo szczçescia w nowym domu!« – »Viel Glück im neuen Haus!«
Nachwort
Bei der Vorbereitung dieses Buches war ich auf vielfältige Hilfe, Informationen, Gespräche angewiesen. Sie wurden mir bereitwillig gewährt. Dafür möchte ich mich herzlich bedanken. Das gilt insbesondere:
Für die langen Nachtgespräche mit Herrn Christian Waluczek, der mir mit seinen interessanten Episoden den Alltag im Polen der späten 60er Jahre näher brachte. Er ist ein Erzähler, der, könnten ihn alle hören, das Schreiben lebendig ergänzte;
für die vielen Informationsgespräche 1972, 1973 mit all den Frauen und Männern, die das Schicksal der Spätaussiedler erlebten;
für die Gelegenheit, mit Aussiedlerfamilien zusammenleben zu können, danke ich Herrn Franz Grave und der Leitung der Jugendbildungsstätte Haus Altfried;
für die fürsorgliche, großzügige Bereitstellung der Literatur über Polen und
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