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Kronhardt

Titel: Kronhardt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralph Dohrmann
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befeuerten das Trauma der Nation, befeuerten den Patriotismus, und die kriegerische Sippenindustrie konnte aus dem vollen schöpfen. Hollywoodeffekte in Afghanistan, Guantánamo oder Irak, die Zeiten beschleunigten, potenzierten und markierten ganz eindeutig Gut und Böse. Und im Alten Europa hatte Konetzke inzwischen gelernt, die Welt ohne Augen wahrzunehmen. Er hatte seine übrigen Sinne auf eine Art hin geschärft, wie er früher gesehen hatte, und wenn er doch die Grenzen alter Wirklichkeit überschritt, dann im Verbund mit der Engelschen. Seine Liebe zu ihr war stärker geworden, warme Wellen, die von innen ausschlugen, und er konnte spüren, wie diese Wellen auch die Engelsche erfaßten, sie durchströmten und beide Herzen verschmolzen. Jenseits dieser Liebe nutzte er ihre Augen und den Blindenstock, und gekoppelt mit seinen neu geschärften Sinnen konnten sie ihren Lebensstandard halten. Ihre Geschäfte waren halbwegs sauber, nichts Großes, nichts Gefährliches. Bis Konetzke auf die Idee kam, bei Ihnen anzurufen. Er war gerissen genug, tatsächlich ein Geheimfach im Penthouse zu haben, und als die Engelsche die Papiere in den Ordnern nicht fand, stellte er keine Zusammenhänge zu der großen Frau und seiner Erblindung her. Er ließ die Engelsche die Duplikate aus dem Fach holen und setzte sich mit Ihnen in Verbindung.
    Und so saß er dann in der Stumpfen Spitze. Eine kompakte Erscheinung, gebräunt, und die Augen in seinem Gesicht unscharf hinterm Rauch einer Zigarre. So lernten Sie also Eddi kennen, während die Bush-Kriege mittlerweile bis ins Mutterland rückkoppelten und dort an die eingefleischte Freiheit gingen.
    Die Gier nach Macht und neuen Waffen ist immer teuer, und das ewig amerikanische Recht, allen aufsteigenden Gelüsten jederzeit nachzugeben, ließ sich bald nur noch für eine kleine Sippe einlösen. Der Rest der amerikanischen Gesellschaft schien wegzubrechen, richtiger Hunger kroch durch das Land, und nach all dem Gemetzel in der Welt und der bitteren Zeche vor der eigenen Haustür sollte es ein Schwarzer wieder richten. Und auch im Alten Europa war man froh darüber, und der ganze Schreck, den die Bush-Leute hinterlassen hatten, offenbarte sich mit voller Wucht, als Obama zuerst einmal den Friedensnobelpreis bekam. Danach setzte er sich ins Weiße Haus und trieb die Zukunft an. Bald ließe sich Krieg aus dem Wohnzimmer führen, bald würde Kriegführung automatisiert, und bald würden nur noch Algorithmen den Befehl zum Feuern geben, egal, ob gegen ein Land oder gegen einen Schurken. Und so scheint Obama ein ewiger Amerikaner; so sahen Sie Konetzkes Augen zum ersten und letzten Mal in der Stumpfen Spitze, dann kamen Sie zu uns, wir trieben ihn auf, und derweil marschiert von Wrangel weiterhin durch die Weltgeschichte, paßt sich heute so und morgen anders an, bringt Ihren Vater um, hat seine Finger am Georgischen Schädel, bringt Lampe um und auch Ihren Stiefvater und bereichert mit seiner Fähigkeit, dem Tod jede Absicht und Heimtücke zu nehmen, ringsherum die grandiosen Schlachtfeste und kannibalischen Heldentaten.
    Zum Mittag hin hat sich der Nebel aufgelöst. Die Schichtungen in der Atmosphäre erscheinen stabil, es ist windstill, und das Sonnenlicht streut ein Violett gegen den Himmel. Ruhe sickert aus der Höhe, macht die Welt durchlässig, und die weite Prärie ringsherum liegt da in klaren Tönen.
    So stehen die Männer auf dem Perron; Kakteen oder Büschel von hohen Gräsern ziehen dahin, manchmal schieben sich jetzt Felsplatten aus dem Boden, und gegen den Horizont verdichten sich die Bergketten. Einmal sehen sie ein Rudel mit springenden Hirschen, und aus der Distanz und eigenen Geschwindigkeit heraus erscheinen ihnen die anmutigen Bewegungen der Tiere wie verlangsamt.
    Der Bursche pumpt Kakao aus seinem Kanister und trinkt mit den Männern. Aus dem Stand der Lokomotive habe er die Tafelberge und den See bereits gesehen, und auch er sei nun zuversichtlich, daß sie die Hauptstadt zu gewohnter Zeit erreichten. So stehen sie im Takt der Gleise; aus den Bechern dampft der Kakao, und bald sehen sie einen ersten Berg vorbeiziehen. Einsam und gedrungen stößt er aus der Prärie, ein schroffer Block mit steilen Flanken, die in der Höhe wie abgeschnitten erscheinen. Erst auf der großen Tafel können die Männer Bewuchs erkennen, kräftige Farben, die noch in der

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