Kryson 06 - Tag und Nacht
antwortete Tarratar. »Wir haben gehört, die Königin habe eine Flotte von Schiffen im Inneren des Vulkans liegen, die sie schon morgen Richtung Tut-El-Baya schicken will. Auf einem davon soll Tomal mit in die Schlacht ziehen, heißt es. Fast die ganze Stadt packt im Moment ihre Bündel. Saykara selbst plant, mit einem ihrer Schiffe nach Fee zu fahren, habe ich im Palast aufgeschnappt.«
»Das klingt abenteuerlich«, schüttelte Sapius den Kopf. »Worauf warten wir? Holen wir uns das Buch zurück, bevor er in See sticht.«
»Nein, Sapius«, lehnte Tarratar den Vorschlag ab, »die Wächter haben entschieden, er darf das Buch behalten.«
»Was? Aber das ist Wahnsinn!«, regte sich Sapius auf. »Er ist verrückt. Tomal kann mit dem Buch ganz Kryson zerstören. Er wird nicht zögern, diese Macht einzusetzen.«
»Das befürchte ich auch«, sagte Tarratar betrübt, »wir haben lange darüber gesprochen. Aber er ist der Lesvaraq und muss seine Gelegenheit erhalten, wenn sich das Buch für ihn entschieden hat. Danach sieht es im Augenblick leider aus. Uns sind die Hände gebunden, Sapius. Es steht uns nicht zu, dem Lesvaraq das Buch zu entziehen. Das wäre ein Verstoß gegen das Gleichgewicht.«
»Dann bleibt uns nur noch die Hoffnung auf einen Sturm, der das Schiff des Lesvaraq auf der Reise nach Tut-El-Baya sinken lässt und Tomal im Meer ertränkt.«
»Oder er kommt zur Vernunft und setzt das Buch nur ein, um das Gleichgewicht zu wahren.«
»Daran glaubt Ihr doch selbst nicht«, meinte Sapius.
»Nein, leider nicht«, musste Tarratar zugeben.
Für eine Weile blickten sie sich schweigend an. Jeder hing seinen Gedanken nach und malte sich das Schlimmste in schillernden Farben aus. Sapius fror plötzlich, obwohl es warm war. Bei dem Gedanken, was Tomal anrichten konnte, während sie völlig hilflos zusehen mussten, wurde ihm übel. Er glaubte, sein Schädel müsste vor Schmerzen platzen.
»Ihr solltet nach Tut-El-Baya gehen«, unterbrach Daleima das Schweigen »wenn es geht sofort und auf dem schnellsten Weg. Ihr seid auf Kartak nicht sicher. Solange Tomal noch an Euren Tod glaubt, wird er Euch nicht suchen. Ihr dürft keinesfalls gesehen werden. Tarratar und ich sind uns einig, dass Ihr die Stadt der Klan vor den Maya und dem Wahnsinn des Lesvaraq beschützen müsst. Ihr seid der Einzige, der stark genug ist, gegen den Lesvaraq anzutreten. Vielleicht ist es bereits zu spät. Aber wir sollten nichts unversucht lassen, den drohenden Schrecken abzuwenden.«
»Ich weiß nicht, ob ich vor den Maya und Tomal in Tut-El-Baya ankomme«, gab Sapius zu bedenken, »der Weg ist weit. Ich kann nicht reisen wie die Wächter des Buches.«
»Ihr werdet einen Weg finden, Sapius«, sagte Tarratar und klingelte zuversichtlich mit den Glöckchen seiner Flickenkappe, »geht von hier aus durch den Wald, geradewegs den Abhang hinauf. Dann kommt Ihr an den Kratersee von Kartak. Am Kraterrand wartet jemand auf Euch, der Euch weiterhelfen wird. Folgt seinem Rat, denn wir wissen, er ist weise.«
»In Ordnung«, stimmte Sapius zu, »ich gehe und werde alles versuchen, was in meiner Macht steht, den Lesvaraq aufzuhalten. Ich kann Euch im Augenblick nur danken, Daleima. Ich verdanke Euch mein Leben. Vielleicht kann ich eines Tages meine Schuld bezahlen. Aber heute muss Euch mein Dank genügen.«
»Geht und macht Eure Sache, so gut Ihr könnt«, meinte Daleima, »mehr erwarte ich nicht.«
»Wir behalten Euch im Auge, Sapius«, sagte Tarratar, »geht jetzt. Die Zeit drängt.«
Sapius nahm den Stab des Farghlafat und sein Bündel auf und quälte sich schnaufend, sein steifes Bein hinterziehend unter starken Kopfschmerzen und schwitzend den Abhang hinauf. Er fragte sich die ganze Zeit über während ihm Schwärme von kleinen Stechmücken plagten, wer ihn am Kraterrand wohl erwartete. Nach einem anstrengenden Aufstieg, der ihn nicht nur zwei Horas sondern vor allem auch Kraft, Schweiß und Blut gekostet hatte, erreichte Sapius den Waldrand. Er schob Gestrüpp, Blätter und Zweige beiseite und betrat die freie Fläche kurz unterhalb des Kraters. Sein Blick wanderte nach oben zum Krater. Die Abenddämmerung hatte eingesetzt.
Sapius fiel überwältigt auf die Knie, als er erkannte, wer es sich am Kraterrand bequem gemacht hatte und auf ihn wartete. Er schlug die Hände vors Gesicht und heulte Rotz und Wasser.
Der Drache erhob sich, ging einige Schritte auf den Magier zu und stupste seinen alten Freund, der am ganzen Leib bebte, behutsam mit den
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