Kryson 06 - Tag und Nacht
Nächte, in denen die Seher und Propheten mit den Eigenheiten, Sitten und Gebräuchen der Völker Fees vertraut wurden. Es war wichtig für den Frieden des magischen Kontinents, dass sich die Völker untereinander verstanden.
Sapius hatte den Rat seines alten Freundes Seta befolgt und sich in den Tagen des Treffens mit einer jungen Hexe zusammengetan, die ihn am zweiten Abend nach seiner Ankunft in ihr Zelt eingeladen hatte. Sie war eine Seherin der Daivaren, einem kleineren Volk der Nacht, das nur einige Wochen Reisezeit von der neuen Stadt der Tartyk entfernt lebte. Auf dem Rücken eines Drachen konnte er sie von Gafassa aus in nur zwei Tagen erreichen. Ihr Name war Tyleen. Sie war wunderschön und erinnerte ihn an Elischa, als er die Orna auf seiner Reise zum Lager der Klan in einer regnerischen Nacht kennengelernt hatte.
»Du hast dir die falsche Hexe ausgesucht«, zog ihn Seta am vierten Tag der Zusammenkunft auf.
»Weshalb? Gefällt sie dir etwa nicht?«, konterte Sapius.
»Natürlich gefällt sie mir. Wem gefiele sie auch nicht? Jeder liebt sie«, meinte Seta, »Tyleen löst aber schmerzliche Erinnerungen in dir aus. Das sehe ich dir doch an. Das ist nicht gut für dich. Du zweifelst und grübelst. Du bist drauf und dran, dich unsterblich zu verlieben. So hatte ich meinen Rat nicht gemeint. Man sagt, es gebe einen mächtigen Krieger, der ein Auge auf sie geworfen habe. Sie scheint nicht abgeneigt, heißt es …«
»Dagegen lässt sich doch nichts machen«, seufzte Sapius und zuckte ratlos mit den Schultern, »Tyleen ist …«
»Doch … du kannst den Rückzug antreten und fliehen, bevor es zu spät ist«, riet Seta.
»Und wenn ich das nicht will?«
»Dann wirst du wieder leiden …«, antwortete Seta, »sie wird dir fehlen, wenn du nach Ell gehst. Du wirst an sie denken und dich fragen, ob es ihr gut geht. Was macht sie? Hat sie einen anderen? Ist sie in Gefahr? Wird sie auf dich warten? Wird sie noch da sein, wenn du zurückkommst? Du wirst sie vermissen und verzweifeln. Dein Kopf wird nicht klar sein. Verstehst du, was ich dir sagen will?«
»Ich bin nicht dumm, Seta«, antwortete Sapius.
»Sicher nicht«, nickte Seta, »dann vergiss sie schnell wieder. Du hattest deinen Spaß.«
»Seta … ich«, stammelte Sapius, »ich glaube … sie … ich bin mir fast sicher … ist es … könnte es wirklich sein?«
»Deine große und einzige Liebe? Das wäre möglich. Gewissheit darüber hat allerdings nur der Baum des Lebens. Wer sie auch sein mag, ich weiß … es ist bereits zu spät … du hast deinen Verstand und dein Herz an sie verloren und kannst nicht mehr anders«, seufzte Seta, »ich wünsche dir Glück, mein Freund. Vielleicht ist es ja richtig so und wenn einer dieses Glück verdient hat, dann du. Versprich mir nur, dass du endlich mit der Liebe umzugehen lernst und nicht zu sehr leiden wirst.«
»Ich verspreche es …«, flüsterte Sapius.
Die Tage des Treffens gingen schnell vorüber. Viel zu schnell, nach allem was Sapius in den sieben Tagen erleben durfte. Es war eine der schönsten und glücklichsten Zusammenkünfte, an denen er auf Fee teilgenommen hatte. Der Abschied von den alten Freunden und von Tyleen fiel dem Magier schwer. Er wollte Seta nicht mehr loslassen, denn er wusste, dass er den alten Seher nicht wiedersehen würde. Aber Sapius hatte keine Wahl. Seine Verpflichtungen duldeten keinen Aufschub. Wenigstens hatte er in den wenigen Tagen noch einmal Liebe erfahren dürfen. Das konnte ihm nichts und niemand mehr nehmen. Gleichgültig was auch kommen würde und auf Ell geschehen sollte. Sapius war sich beinahe sicher, dass ihn Tyleen ebenfalls liebte. Das war ein Gefühl, das sein Herz wärmte und ihm Kraft für die kommenden Aufgaben verlieh.
Sapius hatte Wort gehalten. Genau drei Monde nach Tarratars Besuch in ihrer Behausung war er wieder zu seiner Hütte zurückgekehrt, um Kaschta bei den letzten Reisevorbereitungen nach Ell zu helfen.
Er und Haffak Gas Vadar hatten von ihrem Ausflug vier Drachen mitgebracht, die sie nach Ell begleiten würden. Die Rücken und Flanken boten ausreichend Platz, einen großen Teil ihrer Habe über das Meer auf den anderen Kontinent zu tragen. Sie würden einige Kisten unter den Schwingen anbinden. Sapius und Kaschta mussten nur wenig zurücklassen. Kaschta würde auf dem Rücken eines der Drachen reiten. Sapius konnte seinem Schüler ansehen, dass er sich bei der Vorstellung nicht wohlfühlte. Kaschta war noch nie auf einem Drachen geritten
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