Kryson 06 - Tag und Nacht
tiefer.
Auf den Rängen rasten die Schatten. Madhrab fand nur einen Ausweg. Entschlossen hackte er sich mit seinem Schwert oberhalb der Wunde den Arm ab. Dunkles Blut schoss aus dem Armstumpf und löste sich im Nebel auf. Genau wie Chromlion zuvor schloss Madhrab die Wunde mit der Hand. Angewidert betrachtete er die Schatten, die seinen abgetrennten Arm auffraßen, bis nichts mehr von ihm übrig blieb.
Der Bewahrer schüttelte den Kopf. Er hatte keinen Schmerz verspürt, als er sich in der Not den Arm abtrennte. Aber jetzt bemerkte er ein Ziehen und Brennen in dem Stumpf. Es war ein eigenartiges Gefühl. Sein Arm wuchs nach. Zoll für Zoll. Nicht schnell genug. Chromlion war drauf und dran, seinen nächsten Streich zu vollbringen. Madhrab wich aus und ließ seinen Gegner ins Leere laufen.
»Machen wir ein Ende!«, rief Madhrab.
»O ja, darauf habe ich lange gewartet«, antwortete Chromlion.
»Vorher verrätst du mir, wem du dienst!«
»Ha«, höhnte Chromlion, »das wüsstest du wohl gerne.«
»Wer ist es, Chromlion?«
»Jemand, dem du nicht gewachsen bist.«
»Wer?«
»Wozu willst du das erfahren? Du wirst unwissend sterben und ein Nichts sein. Ich vernichte dich. Meine Rache wird vollkommen sein. Madhrab hat es nie gegeben.«
»Noch kannst du umkehren und deinen Frieden erhalten. Gib nur das Tor und den Weg frei.«
»Zu spät, Madhrab«, lachte Chromlion.
»Für die Einsicht ist es nie zu spät.«
Madhrabs Arm war zur Hälfte wiederhergestellt. Chromlion wartete nicht länger und rannte los. Madhrab hob das Schwert und fing den Angriff ab. Er setzte sogleich zum Sprung an und führte einen mächtigen Schlag von oben herab auf Chromlion.
Chromlion brachte seine Klinge nicht schnell genug zur Abwehr nach oben. Das Schwert drang neben seinem Hals durch die Schulter bis tief in seinen Brustkorb ein, bevor Madhrab es mit einem Ruck wieder herauszog.
Die Schatten hielt es nicht mehr auf ihren Plätzen. Sie sprangen auf, johlten und kreischten. In der Arena herrschte ein ohrenbetäubender Lärm. Chromlion sackte in sich zusammen und sank vor dem Bewahrer auf die Knie. Die Schattenklinge fiel zu Boden.
»Was ist?«, wollte Madhrab wissen: »Gibst du auf?«
»Ich kann nicht«, keuchte Chromlion. »Wie ist das möglich? Warum schlägst du mich immer noch?«
»Du bist gut und hast viel gelernt, Chromlion«, flüsterte Madhrab, »aber nicht gut genug, um einen Lordmaster zu überwinden.«
»Ich habe nie geglaubt, du wärst besser als ich«, gestand Chromlion. Seine Stimme drohte zu versagen, »aber jetzt … obwohl ich dir in den Schatten weit überlegen sein müsste, schlägst du mich wieder. Du hattest es zeit deines Lebens nicht verdient, mir vorgezogen zu werden. Das war nicht gerecht. Ein Mann aus den Bergen, nichts weiter als ein dummer Bauer. Ich hingegen stammte aus einem der besten Fürstenhäuser. Ich hatte die besten Voraussetzungen. Aber du wurdest von den Kojos geliebt und sie beschenkten dich reich mit der Gabe des Kriegers. Boijakmar liebte dich wie einen eigenen Sohn, statt auf meinen Vater zu hören und mich zu fördern. Elischa liebte dich wie keinen anderen auf Kryson. Für mich jedoch hatte sie nur Abscheu und Hass übrig. Nein«, Chromlion schüttelte heftig den Kopf, »du hast es immer noch nicht verdient.«
Madhrab hob das Schwert, um Chromlion den Todesstoß zu geben. Er war sich nicht sicher, ob ihm dies in den Schatten überhaupt gelingen würde. Ein Blick auf das Schattenschwert ließ ihn zögern. Er bückte sich nach der Waffe und hob sie auf. Chromlion erzitterte, als er erkannte, dass Madhrab sein eigenes Schwert gegen die Schattenklinge getauscht hatte und diese nun auf ihn richtete.
»Damit kann ich dich endgültig für deine Schandtaten hinrichten. Aber wir sind im Reich der Schatten und ich will dir vergeben. Unter einer Bedingung: Ich lasse dich gehen, wenn du mir sagst, wer dich beauftragt hat, die Schatten in ihrem Reich festzuhalten.«
»Das wirst du niemals erfahren«, lehnte Chromlion kopfschüttelnd ab.
Die Wunde war zu tief, um die Blutung zu stoppen und sie wieder zu schließen. Chromlion hatte es mit den Händen versucht. Aber es war zwecklos. Mit jeder Sardas wurde er schwächer und schwächer.
»Das Geheimnis nehme ich mit mir!«
»Wohin? Ins Nichts? In die Leere, in der es nie etwas gab oder geben wird?«, sagte Madhrab. »Sei nicht dumm und stur, Chromlion! Hier in den Schatten geht es um Vergebung. Denke darüber nach, wer, was und wie du zu Lebzeiten
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