Kuckucksmädchen
machte ich ausnahmsweise mal das, von dem alle Welt glaubt, dass Schriftsteller es tun: Ich trank und ich feierte und ich schlug mir an einem Wochentag die Nacht um die Ohren, was ich sonst niemals tue.
Vom Couchcapitän zum Golden Pudel Club sind es nur wenige Schritte. Wenn dieses Nachwort kein Nachwort wäre, sondern zum Roman gehören würde, hätte ich die Schritte gezählt. Aber so lief ich sie einfach ab, leichtfüÃig und alkoholbeseelt, zusammen mit einem Mann, den ich seit Jahren nicht gesehen hatte und der zufällig, wirklich zufällig, Phillip heiÃt.
Ich war seit mindestens drei Jahren nicht mehr in diesem Club, ich habe nicht die geringste Ahnung, warum eine Szene meines Romans dort spielt, und erst recht nicht, warum ich ausgerechnet an diesem Abend dort landete. Die Energie folgt der Aufmerksamkeit, habe ich mal gehört, und das ist meine einzige Erklärung.
Wir tranken weiter und tanzten schlieÃlich zwischen sehr jungen Menschen zu Musik, die ich nicht kannte, was mich normalerweise unglaublich frustrieren würde, was mir aber an diesem Abend ausnahmsweise egal war, denn an diesem Abend hatte ich ausnahmsweise mal keine Angst vorm Morgen.
Es muss ungefähr vier Uhr gewesen sein, als ich aus dem Club stolperte, wankend, müde, nach Rauch stinkend, aber glücklich.
Und in dem Moment habe ich es gesehen. Auf der linken Seite jener Treppe, auf der eine der letzten Szenen meines Romans spielt, glitzerte etwas. Ich ging näher, schaute genauer hin und konnte es nicht fassen: Eingelassen in den Beton der Hafentreppe, glitzerte ein Herz. Ein kleines Herz aus einer Spiegelfläche, mit einem dicken, leicht angeschmutzten goldenen Rahmen und Spuren von irgendwas Rotem, Lippenstift, Edding oder Blut.
Ich stand da, an einem sehr frühen Donnerstagmorgen, abgerockt und durchgeschwitzt, und hatte plötzlich das Gefühl, dass die Geschichte, die ich mir im letzten halben Jahr so sorgfältig ausgedacht hatte, mich gerade eingeholt hatte und der Realität von hinten in den Schwanz biss.
Ich weià nicht, woher dieses Herz kommt, wer es dort eingelassen hat, welchen Sinn es an diesem Ort macht. Ich weià nur, dass ich keine achtundvierzig Stunden vorher den Satz »Ein einsames, verletztes Herz auf einer Hafentreppe, es ist vermutlich noch nicht mal das erste« auf eine der letzten Seiten meines Romans geschrieben hatte.
In meinem ersten Buch, Acht Wochen verrückt, habe ich ziemlich genau beschrieben, was ich erlebt habe, und dabei sehr viel Wahrheit mit ein bisschen Phantasie angereichert. In meinem zweiten Buch ist es andersherum. In diesem Roman steckt viel Phantasie und nur hier und da eine versprengte Wahrheit.
Seien wir ehrlich: Herzen sprechen normalerweise nicht. Und sie fallen schon gar nicht einfach so aus unseren Körpern heraus, egal, wie groà der Liebeskummer ist. Trotzdem fühlte es sich in den Wochen nach dem Schreiben immer mal wieder so an, als würde das Buch Stück für Stück Realität, â und die Sache mit dem Herz auf der Hafentreppe machte dabei nur den Anfang.
Ich habe das Herz noch in der gleichen Nacht fotografiert. Seitdem trage ich sein Bild in meinem Handy mit mir herum. Wer mir nicht glaubt, kann bei Gelegenheit den Golden Pudel Club am Hamburger Hafen besuchen, an einem der wackligen Holztische ein Bier bestellen und sich das Herz anschauen, das dort ein Unbekannter in Beton gegossen hat.
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