Kuehler Grund
Spezialmischung?«
»Mach einfach eine Kanne Beuteltee. Aber tu einen mehr rein. Du weißt ja, wie ich ihn am liebsten mag.«
Helen stellte sich an das schmale Küchenfenster des Dial Cottage und wartete, dass das Wasser kochte. Wegen all der Küchengeräte, die ihr Vater seinen Schwiegereltern geschenkt hatte, war kaum noch Platz, um sich zu bewegen. Zwischen dem Herd und dem überdimensionalen Holztisch, der quer zur Spüle in den Raum gequetscht worden war, konnten nicht einmal zwei Leute stehen.
Der Tisch war mit Küchensachen übersät; Sets mit Szenen aus einem nordwalisischen Seebad, Minze- und Thymiansträußchen, ein Glas Orangenmarmelade, ein Glas mit hölzernen Kellen und Kochlöffeln, ein Kartoffelschäler mit Holzgriff, ein Hackbrett und eine Schüssel Wasser, in der eine halbe Zwiebel lag. Auf dem Linoleum neben der Hintertür standen ein Paar Gummistiefel und ein Spazierstock, und an dem Haken, der normalerweise für Harrys Mütze reserviert war, hing eine dunkelgrüne gewachste Jacke mit Cordkragen. Die Jacke hatte Helen ihm zum fünfundsiebzigsten Geburtstag geschenkt.
»So habe ich ihn noch nie erlebt«, sagte ihre Großmutter nebenan aus dem Sessel, ohne die Stimme erheben zu müssen, weil es bis zur Küche nur wenige Schritte waren. »So schlimm nicht. Wenn er überhaupt mit mir redet, dann nur, um mich anzuraunzen.«
»Hast du ihn mal gefragt, was mit ihm los ist?«
»Gefragt? Harry? Da kann ich genauso gut mit der Wand reden.«
»Vielleicht ist er krank, Grandma.«
»Na ja, er hatte letztens eine Erkältung.«
Helen sah, dass ihre Großmutter glaubte, Harry irgendwie verärgert und gegen sich aufgebracht zu haben. Sie selbst hatte eher den Verdacht, dass er schwer erkrankt war, dass ihn etwas quälte, was er lieber für sich behielt, ein schreckliches Geheimnis, das er seiner Frau und seiner Familie nicht zumuten wollte.
Bei einem Mann von Ende siebzig, der Raucher war, fast sein gesamtes Arbeitsleben in einer Bleimine zugebracht und in einem Weltkrieg gekämpft hatte, war so etwas nicht auszuschließen. Solche Gedanken wären ihrer Großmutter, Gwen, nie in den Sinn gekommen. Erst wenn man Harry auf den Friedhof von St. Edwin brachte, würde sie glauben, dass er etwas Ernsteres als eine schlimme Erkältung gehabt hatte.
»Aber krank oder nicht, es hat ihn jedenfalls nicht davon abgehalten, mit Jess spazieren zu gehen. Es hindert ihn auch nicht daran, mit seinen Freunden herumzuziehen.«
»Nein, Grandma.«
Helen spülte die Kanne heiß aus, gab drei Teebeutel hinein und goss kochendes Wasser auf.
Während sie den Tee ziehen ließ, blickte sie aus dem Fenster, hinaus in den Garten und hinunter ins Tal. Der Garten mit den Petunien- und Veilchenbeeten, den Reihen von Kartoffeln mit ihren weißen und gelben Blüten und den Stangen, um die sich die Bohnen rankten, wirkte hell und freundlich. Aber die Wälder, die sich bis ins Tal erstreckten, sahen beklemmend düster aus. Eine halbe Meile entfernt stand der Polizeihubschrauber über den Baumwipfeln. Sie suchten immer noch. Sie hatten die Hoffnung noch nicht aufgegeben.
»Er hat sich verändert. Und daran sind seine Freunde schuld. Er denkt mehr an sie als an mich. Mehr als an seine Familie.«
»Aber Granddad geht die Familie doch über alles.«
»Sie sind schuld. Wilford Cutts und der andere, Sam Beeley.«
»Sie sind doch nur seine Freunde. Seine alten Arbeitskollegen. Sie haben nichts damit zu tun.«
»Doch, das ist alles ihre Schuld.«
»Sie haben bestimmt nichts getan, Grandma. Es sind bloß seine Freunde aus der Glory Stone Mine. Er kennt sie doch schon ewig.«
»Aber früher war es anders, als sie noch gearbeitet haben. Jetzt haben sie ihn mir weggenommen und ihn auf komische Gedanken gebracht.«
»Ich weiß nicht, was du meinst«, sagte Helen.
Dabei hatte sie selbst schon gerätselt, was die drei alten Männer wohl trieben, wenn sie zusammen auf dem Berg waren oder auf Wilfords heruntergekommener kleiner Farm, wo er eine Schar Hühner und eine seltsame Menagerie alter Tiere hielt. Manchmal brachte Harry eine Mütze voll gesprenkelter brauner Hühnereier oder einen Sack Kartoffeln von der Koppel mit, aus der Wilford und er ein großes Gemüsebeet gemacht hatten. Manchmal gingen die drei auch nur zusammen ins Wirtshaus, wo Sam Beetley in seinem Element war und die Runden bezahlte.
»Seit er nicht mehr arbeitet, ist er ein anderer geworden«, sagte Gwen. »Alle drei haben sich verändert. Es tut Männern nicht gut, wenn sie
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