Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Kühlfach vier

Titel: Kühlfach vier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jutta Profijt
Vom Netzwerk:
in Ordnung, danke.«
    |35| Katrin sah nicht überzeugt aus, und ich konnte es ihr nicht verdenken. Sie schien noch etwas sagen zu wollen, überlegte es
     sich aber anders und verabschiedete sich mit einem freundlichen »Bis heute Mittag?«. Martin nickte.
    »Hast du gar keinen Anstand?«, zischte Martin mich an. Und er zischte wirklich, obwohl denken ja auch gereicht hätte. »Ich
     wäre dir wirklich dankbar, wenn du dich aus meinen Unterhaltungen heraushalten würdest.«
    Ich wollte ihn darauf aufmerksam machen, dass jemand in der Tür der Teeküche stand, aber Martin schimpfte schon weiter.
    »Besonders möchte ich dich bitten, keine unflätigen Ausdrücke oder sexuellen Anspielungen von dir zu geben, wenn ich mit Kolleginnen
     spreche.«
    Der Mann, der immer noch in der Tür stand, reckte den Hals ein bisschen vor, damit er die ganze Teeküche überblicken konnte.
     Natürlich konnte er außer Martin niemanden entdecken.
    »Hallo Martin, alles klar?«, fragte der Weißkittel, als er reinkam.
    Martin fuhr herum, jetzt war jede Blässe aus seinem Gesicht verschwunden, er war puterrot. »Was? Ach so, ja ja, alles klar.
     Und bei dir?«
    Der Weißkittel nickte, ging zur Kaffeemaschine, warf Martin noch einen schrägen Blick zu und goss seinen Becher voll. Dann
     fiel ihm offenbar etwas ein.
    »Hast du schon den neuesten Knaller von unserem Lieblingsabgeordneten Dr. Heilig gehört?«, fragte er.
    »Nein«, entgegnete Martin und nippte an seinem Tee.
    »Er will Obduktionen verbieten lassen.«
    »Das ist ein Scherz«, stammelte Martin fassungslos.
    |36| »Leider nicht«, sagte der Kollege. »Es sei gegen die Würde des Leichnams, ihn aufzuschneiden.«
    Na ja, ich konnte dem Mann folgen, aber woher wusste der das? Gab es sogar Abgeordnete, die schon tot waren?, fragte ich mich.
     Und wenn ja, wie war dieser Sack wieder in seinen Körper gekommen?
    Martin schüttelte den Kopf, ob aus Widerwillen gegen die Ideen des Lieblingsabgeordneten oder um meine Gedanken loszuwerden,
     konnte ich nicht riffeln. »Hatten wir diese Diskussion nicht schon einmal?«, fragte Martin. »Vor ungefähr tausend Jahren?«
    »Sie ist wieder ganz aktuell«, sagte der Kollege. »Seine Partei, die ›Wahrhaftigen Christen Deutschlands‹, haben in der letzten
     Meinungsumfrage siebzehn Prozent bekommen.«
    »Warum sind wir mit so einem Abgeordneten geschlagen?«, murmelte Martin.
    »Weil die Kölner ihn gewählt haben«, entgegnete der Kollege. »Denen ist der Dom wichtiger als die Rechtsmedizin.«
    »Der Typ soll seine Autosammlung vervollständigen und anständige Menschen ihre Arbeit tun lassen«, knurrte Martin.
    Der Kollege nickte, schlug Martin auf die Schulter, nahm seine Kaffeetasse und verließ die Teeküche.
    Martin schüttete den Rest seines Tees in den Ausguss und stürmte mit langen Schritten den Flur entlang, ins Treppenhaus, übersprang
     jede zweite Stufe und kam schließlich leicht außer Atem im Kühlraum an. Er zog die Schublade Nummer vier auf und starrte mich,
     genauer gesagt meinen Körper an.
    |37| »Wieso bist du nicht tot?«, fragte er die Leiche, die so tot aussah, dass es töter nun wirklich nicht ging. Vor allen Dingen
     wegen der recht grob zusammengestichelten Naht, die vom Kinn bis zum – na ja, Sie wissen schon – reichte. Sein Tonfall war
     irgendwie genervt und das passte mir ganz und gar nicht. Erstens war ich, entgegen seiner gerade geäußerten Behauptung, sehr
     wohl tot, insofern hatte der präzise Martin unrecht, und außerdem war ich derjenige, der in einer wirklich beschissenen Situation
     war und nicht er. Wenn also einer genervt sein durfte, dann war eindeutig ich das.
    »Geh mir nicht auf den Sack«, ranzte ich ihn an. »Ich bin tot und das weiß keiner so gut wie du, immerhin hast du mich von
     oben bis unten aufgeschlitzt, mir jedes Organ einzeln aus dem Körper gerissen, nachher alles wieder reingestopft und so unelegant
     zugenäht, dass selbst Doktor Frankenstein sich schämen würde für die Naht.«
    Martin lehnte inzwischen an den Kühlfächern neben mir, er konnte sich kaum noch aufrecht auf den Beinen halten. »Aber du sprichst
     mit mir«, wandte er ein.
    »Ja, weil es ganz allein und ohne Unterhaltung ziemlich langweilig ist«, entgegnete ich, obwohl ich genau wusste, worauf er
     hinauswollte. Aber ich hatte ja selbst keine Erklärung. Ich konnte mich nicht erinnern, an irgendeiner Stelle die Abzweigung
     verpasst zu haben. Es hatte keine Wahl gegeben, ob ich hier herumschimmeln oder auf

Weitere Kostenlose Bücher