Kühlfach vier
Kollegen sind da echt eisern. Eine Leiche, die nicht an Herzversagen, Altersschwäche oder einer anderen natürlichen
Todesursache eingegangen ist, wird genauestens untersucht, Punktum.
Ich hielt mich bei der Obduktion im Hintergrund, meine eigene war mir noch zu präsent, und das systematische Auseinandernehmen
von Leichen erschien mir damals noch ziemlich abstoßend. Im Laufe der Zeit habe ich diese Scheu abgelegt, aber davon später
mehr.
Nach Feierabend verabschiedete Martin sich von den Kolleginnen und Kollegen. Die Traumfrau hatten wir den ganzen Tag nicht
wiedergesehen, was ich sehr bedauerte. Der Weißkittel, der Martin in der Teeküche bei seinem lauthals mit sich selbst ausgetragenen
Streitgespräch überrascht hatte, betrachtete ihn noch einmal skeptisch, konnte aber offenbar keine Anzeichen von Geistes-Gestörtheit
mehr erkennen. (Haben Sie den kleinen Wortwitz bemerkt? Klasse, oder? Den Sinn für die Feinheiten der Sprache hat mir Martin
wieder nähergebracht, aber ich glaube, das sagte ich schon.) Er hängte seinen weißen Bürokittel, im Gegensatz zu dem grünen
Schlachthauskittel, ordentlich auf einen Bügel |44| , verließ das Institut für Rechtsmedizin des Klinikums der Universität zu Köln, wie der ganze, lähmend lange Titel dieser
Einrichtung lautete, zog seinen Dufflecoat über und ging zu seiner … Ente. Echt, nicht gelogen! Er fährt eine dieser Schunkelbüchsen,
die man als Gondel an einen Skilift hängen oder auf Gleisen durch die Geisterbahn schubsen sollte, denen aber die Teilnahme
am öffentlichen Straßenverkehr unbedingt untersagt sein sollte. Sie fahren ja auch nicht mit Ihrem Rasenmäher durch die Gegend
oder schrauben einen Hilfsmotor an Ihren fünfrolligen, höhenverstellbaren und lendenwirbelpflegenden Bürostuhl, um damit die
Innenstadt unsicher zu machen. Na also.
Wir jedenfalls machten uns in diesem lächerlichen Schächtelchen auf den Weg zu Nina, meiner Ex. Die Notwendigkeit, mich dem
peinlichsten Gefährt seit Fred Feuersteins Steinzeit-Cabrio anzuvertrauen, war eine größere Demütigung als der Befund der
Schulzahnärztin, dass ich von Geburt an keine Weisheitszähne habe. Zum Glück, und in diesem Moment wusste ich die Körperlosigkeit,
die mein Tod mir aufgenötigt hatte, zum ersten Mal richtig zu schätzen, konnte mich ja niemand mit Martin in diesem Ding sitzen
sehen.
»Weißt du, wofür dieses Gefährt erfunden worden ist?«, fragte ich Martin, als er die Schüssel anwarf.
Er erlitt einen mittleren Herzklabaster und es dauerte eine Weile, bis ich begriff, dass er nicht mit meiner Anwesenheit gerechnet
und mich nicht bemerkt hatte. Er bekam die schaukelnde Kiste wieder in den Griff, bevor er den Laternenpfahl rammte, und atmete
mehrmals tief ein und aus. »Na, wofür?«, nahm ich den Gesprächsfaden wieder auf.
|45| »Zum Autofahren«, gab er zurück. Lächerlich!
»Zum Eierschaukeln«, korrigierte ich. »Die Entwicklungsaufgabe lautete, ein Auto zu bauen, in dem auch bei schlechter Wegstrecke
die Eier im Korb heil bleiben. Damals, also kurz nach dem zweiten Weltkrieg, transportierte man Eier nämlich noch im Korb
und nicht im Eierkarton.« »Aha«, sagte Martin, aber er klang nicht richtig interessiert.
»Außerdem sollte auch eine ungeübte Fahrerin damit zurechtkommen.«
»Interessant«, murmelte Martin.
»Also«, führte ich meine Überlegungen zu einem logischen Schluss, »was willst du mit der Karre? Du bist keine Tussi und kein
Hühnerei.«
»Ich mag das Auto, und es ist sparsam.«
Ja, das waren natürlich sehr wichtige Gründe für die Wahl eines fahrbaren Untersatzes. Kriterien wie Motorleistung, Karosseriedesign,
Coolnessfaktor oder einfach das geile Gefühl, den lackierten Kampfhund von der Leine zu lassen, sobald der rechte Fuß das
Gaspedal anstupst, sind ja albern. Wir mögen unsere Autos, und sparsam sollen sie sein. Leute wie Martin sollten Fahrrad fahren.
Oder noch besser: Dreirad.
Angesichts der Tatsache, dass mein automobiler Festnetztelefonanierer allerdings heute Abend zum verlängerten Arm meiner nicht
unbeträchtlichen Ermittlungsmotivation werden musste, wollte ich ihn nicht verärgern und brach die Erörterung des Themas ab.
Ich lotste Martin durch den Feierabendverkehr und war zugegebenermaßen erfreut, dass er einen Parkplatz direkt vor Ninas Wohnung
fand. Vor dem Aufenthalt im Freien |46| hatte ich nämlich damals noch große Angst. Ich stellte mir vor, wie eine
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