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Kuenstlernovellenovellen

Kuenstlernovellenovellen

Titel: Kuenstlernovellenovellen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Mann
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Leitung Wilhelm Meisters stehende erinnerten und höhere, sozusagen künstlerische Ansprüche stellten, die auf das komischste mit den armseligen Bedingungen, unter denen sie auftraten, zusammenstießen. Nicht, daß die Truppe des Jahres, von der ich rede, so ausgesehen hätte; es befand sich indes ein Mitglied dabei, das solche Erinnerungen hervorrief. Es war ein junges oder nicht mehr ganz junges Mädchen, jedenfalls aber eine so seltsam unbewußt gebliebene Schauspielerin, wie sie uns heutzutage gleichfalls nicht mehr möglich dünkt. Es war vielleicht jener Typus der unverstandenen, auch von sich selbst unverstandenen Tragödin, wie er in Paul Heyses ,Kreisrichter' erscheint. Ein Mädchen, das ohne Liebe für die Bühne, nur durch irgendwelche Gewohnheitsbande, etwa als Theaterkind, dort festgehalten wird, das alle Instinkte ihrer Kunst hat, die aber in einem trägen, toten Spiel begraben liegen und erst mit dem Temperament erwachen, das durch eine starke Leidenschaft aufgerüttelt wird. Die große Frieda, wie sie genannt wurde, war so hoffnungslos den Untergründen der Kunst verfallen, daß sie damals sogar als Tierbändigerin auftrat. Zu der Gesellschaft gehörte auch eine Menagerie, vor deren Eingang, hinter der Kirche draußen auf freiem Felde, der Theaterdirektor, der hier als starker Mann fungierte, mit gewaltigen Paukenschlägen zum Besuche einlud. Außer einer matten Boa und ein paar gelangweilten Panthern gab es hinter dem Zeltvorhange in den hölzernen Käfigen auch einen wirklichen Seehund, der den Küstenbewohnern gar nichts sagte, und einen Löwen, der dagegen ihr ganzes Interesse in Anspruch nahm.
Das gefährliche Aussehen des Tieres ward ihm durch eine mächtig breite Brust verliehen, über die eine zottige Mähne herabfiel. Dagegen hatte der Kopf bei aller Wildheit etwas Abgehärmtes, die Flanken lagen kläglich schmal und eingesunken zwischen den Rippen, die wie die eines Droschkengauls hervorstanden. Sein Äußeres deutete auf die Art der Zähmung hin, der er unterworfen war: Man hatte ihn offenbar durch anhaltendes Fasten an einen Zustand gewöhnt, wo der Hunger nicht mehr als Wildheit und Blutgier, sondern als winselnde Unterwürfigkeit auftrat. Er mußte, wenn die Bändigerin zu ihm in den Käfig trat, ganz genau wissen, daß er nur, falls er sich während der Vorstellung tadellos aufgeführt hatte, hinterher seine Fleischration erhalten werde. Wie aber benutzte sie diesen verzweifelten Zustand! Sie hatte nicht die vorsichtigen, stets auf einen plötzlichen Rückzug gefaßten Bewegungen des Wärters im Verkehr mit der Bestie. Sie faßte ihn ohne Rücksicht an, schob ihn aus dem Wege, neckte und schlug ihn; oder sie nahm seinen Kopf in ihren Arm, drückte ihn gegen ihre Brust und küßte ihn, während ihre freie Hand seine Mähne kraute. Sie ging mit ihm als Kraftweib wie mit einem Schwächeren um, wahrscheinlich in der Weise, wie sie mit einem Manne umgegangen wäre. Die Bauern fühlten etwas davon, wenn sie sagten:
,— Hei is ganz weg in sei.'
,- Sei tähmt em mit de Oogen', bemerkte ein anderer. Es war richtig, daß sie die Augen keinen Augenblick von ihm ließ. Sie hatte Augen, in denen wie unter Schleiern eine tiefe Grausamkeit und zugleich ein starrer Schrek-ken vor dieser Grausamkeit und vor ihr selbst schlummerte. Es war, halb versteckt, in ihren Augen vielleicht alles das ausgedrückt, was sie selbst nicht wußte. Das Fremdartige in diesem strengen dunklen Wesen erhielt für unsere behäbigen blonden Bauern um so mehr Faszinierendes dadurch, daß ihre Gestalt das allgemeine Ideal all dieser Leute verkörperte, mit ihren starken Gliedmaßen, weit ausladenden Hüften, dem kräftig gewölbten Nacken und der großen Brust. Sie war, was sie alle ein schönes Mädchen nannten. Der Eindruck, den sie auf diese Leute machte, trat am deutlichsten hervor, wenn sie spielte. Ihr Spiel war ruhig und im Grunde vollständig leidenschaftslos; aber eine lärmende Beweglichkeit wäre bei diesen naiv-fatalisti-schen Zuschauern auf kein Verständnis gestoßen. Dagegen begriff jedermann und war ergriffen, wenn ihr schwerer Körper, während ihre klassisch geraden, groß gemeißelten Gesichtszüge unbewegt blieben, wie unter dem Druck einer unsichtbaren Schicksalshand ruckweise zusammensank. Auf solche Weise kamen auch die Vorzüge ihrer Figur am besten zur Geltung. Wenn beim Falle sich die Schenkel unter dem eng zusammengerafften Gewände abzeichneten und die Brust im großen Winkel vorsprang, entzündete

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