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Kuenstlernovellenovellen

Kuenstlernovellenovellen

Titel: Kuenstlernovellenovellen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Mann
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ihm Mut, die Gelegenheit zu benutzen. Er nahm ihren Arm unter den seinen, und sie tranken kreuzweis. Als Beifallsbezeigung erhob sich ein verdoppelter Lärm, den das Kreischen der Weiber durchdrang. Indes gab der Direktor seinen Leuten das Zeichen zum Aufbruch. Er hatte all seine beredte Kunst eingesetzt, um dem mißtrauischen Widerstand des alten Prahl die Erlaubnis zur Benutzung seiner großen Scheune abzuringen. Da die ,Komedi' sich ja dort so viel schöner als in dem engen Zelte ansehen würde; und da heute Marktschluß war, hatte der alte Bauer endlich, unter vielen Vorbehalten, seine Zustimmung erteilt. Nun mußten die Dekorationen und Kostüme hinübergeschafft werden, und die große Frieda folgte ihren Kameraden. Es fiel ihr ein, daß der Löwe, da am Morgen keine Vorstellung stattgefunden hatte, noch unversorgt sei. Bevor sie die blutigen Hammelknochen herbeiholte, trat sie in den Käfig, ging auf das zurückweichende Tier zu, umfaßte die gewaltige Schulter und stieß mit der freien Hand den Kopf des Löwen langsam drei-, viermal gegen ihre Brust.

    Die der Kirche gegenüber gelegene Scheune des Großbauern Prahl, deren eines Tor auf die Felder hinausführte, sah mit ihrem zweiten die lange Dorfgasse hinunter. Trotz der Geräumigkeit des Gebäudes verfolgte ein langer Schwanz aufmerksamer Leute von draußen die Vorgänge, die sich im Hintergrunde der Scheune, wie in einem Guckkasten, abspielten.
    Das gegebene Stück war eines der zugleich abenteuerlichen und gefühlvollen Art, halb Schicksalsdrama, halb Robinsonade, wie sie damals im Gefolge von Kotzebues ,Gur!i' inMassen aufgetreten waren. Auf dieSchultern der großen Frieda war eine starke Last von Tragik gehäuft, das Schicksal zwang sie noch öfter als gewöhnlich, mit ihrer imposanten Schwere in die Knie zu sinken. Mochte sich nun eine Wirkung der vielen Gläser Doppelbier zeigen,die man ihr freundschaftlich zugetrunken hatte, oder ob ihr totes Temperament, spät genug, endlich auch seinen Erwecker gefunden hatte - und welchen Erwecker! jedenfalls war ihr Spiel belebter, Bewegungen und Sprache menschlicher. Zuweilen fand sie Töne, die außer dem Beifall der Holzschuhe, die gegen den Boden, und der harten Handflächen, die aneinanderklappten, auch das Bravo verschiedener Zuschauer hervorriefen, die sich wie der Amtsvorsteher, der Doktor und mein Vater ein wenig abseits im Hintergrunde hielten. Ich selbst hatte mich bis dicht an den Eingang des Theaters vorgedrängt. Was ich von meinem günstigen Platze am meisten bewunderte, war die Szenerie, die sich zeigte, als das als Vorhang dienende bunte Tuch vor Beginn des letzten Aktes zurückgeschlagen wurde. Der Hintergrund stellte eine unbegrenzte Sandwüste vor, und die Einfachheit des Gegenstandes gestattete es der Dekorationsmalerei, nicht ungeschickt die Einbildungskraft zu unterstützen. Die Kulissen waren mit einigen kümmerlichen Palmen bemalt, das Ganze in ein gelbes Licht getaucht. Frieda betrat in einem weiten, grauen Gewände, mit von der Furcht angehaltenen Schritten, die Szene. Sie war mit ihrem Geliebten in diese Einöde verbannt, der Mann hatte irgendeine Expedition unternommen und sie allein gelassen. Ihr großer Monolog fiel von matten und verbrannten Lippen, und gleichmäßig wie der Sand, der in dem gelben Licht die Dünen hinabzurieseln schien. Bei aller Roheit der Ausführung lag eine gewisse Stimmung in der Szene, für meine abenteuerlustige Phantasie und für die grobe, an den Blick auf das Meer und auf weite Flächen gewöhnte Einbildungskraft dieses Publikums bereitete sie auf fabelhafte Dinge vor. Die Schauspielerin hatte begonnen, eine gehobene Stelle ihrer Rede mit weiter ausgreifenden, stumm verzweifelten Gesten zu begleiten, als sie die in großem Schwünge vor das Gesicht geschlagenen Hände mit einem Ausdruck zurückzog, der die Erfüllung einer schmerzlichen Ahnung anzuzeigen schien. Zugleich ließ sich in dem Räume hinter der zweiten rechtsstehenden Kulisse ein dumpfes, unheilvolles Brüllen vernehmen, und der Löwe hielt, mit zögernden, der freien Bewegung ungewohnten Schritten, seinen Auftritt. Er wurde mit keinem Ausruf, weder des Schrek-kens noch der Überraschung, empfangen. Warerausdem von der Wärterin bei ihrem letzten flüchtigen Besuche schlecht verschlossenen Käfig entkommen und hatte, an der Außenseite der nächststehenden Gebäude herumschleichend, das ins Freie geöffnete Scheunentor gefunden? Oder lag hier ein toller Dressierversuch vor? Die letztere

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