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Küsschen, Küsschen!: Elf ungewöhnliche Geschichten (German Edition)

Küsschen, Küsschen!: Elf ungewöhnliche Geschichten (German Edition)

Titel: Küsschen, Küsschen!: Elf ungewöhnliche Geschichten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roald Dahl
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allerlei Kleinigkeiten voneinander.) Es war ein höchst eindrucksvolles Möbelstück in französischem Rokokostil aus Chippendales Directoire-Periode, eine große, massige Kommode auf vier geschnitzten, ausgekehlten Beinen, die etwa einen Fuß hoch waren. Insgesamt hatte sie sechs Schubladen, zwei lange in der Mitte und zwei kürzere an jeder Seite. Die geschweifte Vorderpartie war oben, unten, links und rechts reich ornamentiert, und auch zwischen den mittleren und den seitlichen Schubladen sah man senkrecht verlaufende kunstvolle Schnitzereien in Form von Girlanden, Schnecken und Trauben. Die Messinggriffe waren zum Teil von dem weißen Anstrich überdeckt, schienen jedoch prächtig zu sein. Gewiss, die Kommode war ein ziemlich «schweres» Stück, aber so elegant, so graziös entworfen und ausgeführt, dass die Schwere nicht im Geringsten störte.
    «Wie fühlen Sie sich jetzt?», hörte Mr.   Boggis jemanden fragen.
    «Danke, danke, schon viel besser. Es geht immer schnell vorüber. Mein Doktor sagt, diese Anfälle seien ganz harmlos, ich müsste mich nur ein paar Minuten ruhig verhalten. Ach ja» – er erhob sich langsam –, «jetzt ist es besser.»
    Vorsichtig, ein wenig schwankend, fing er an, im Zimmer umherzugehen und die Möbel einzeln zu begutachten. Er sah sofort, dass außer der Kommode nichts als Plunder vorhanden war.
    «Hübscher Eichentisch», bemerkte er. «Nur fürchte ich, er ist nicht so alt, dass er irgendwie interessant wäre. Gute, bequeme Stühle, leider ganz modern, ja ganz modern. Und die Anrichte – nun, sie ist recht gefällig, aber ebenfalls ohne besonderen Wert. Diese Kommode» – er blieb vor der Chippendalekommode stehen und tippte geringschätzig mit dem Finger darauf –, «ein paar Pfund würden Sie vielleicht dafür kriegen, mehr gewiss nicht. Eine ziemlich plumpe Imitation. Vermutlich aus der Viktorianischen Zeit. Ist der weiße Anstrich von Ihnen?»
    «Ja», antwortete Rummins. «Bert hat’s gemacht.»
    «Sehr vernünftig. In Weiß ist sie viel erträglicher.»
    «Ein solides Stück», meinte Rummins. «Hat auch hübsche Schnitzereien.»
    «Maschinenarbeit», erklärte Mr.   Boggis in überlegenem Ton und bückte sich, um die meisterhafte Arbeit näher zu betrachten. «Das sieht man auf eine Meile. Immerhin, in seiner Art ist es ein nettes Stück. Hat seine Vorzüge.»
    Er schlenderte weiter, schien sich plötzlich zu besinnen, und kehrte langsam um. Mit gerunzelter Stirn, die Hand am Kinn, den Kopf zur Seite geneigt, stand er wie in Gedanken versunken da und schaute auf die Kommode.
    «Wissen Sie was?», sagte er so beiläufig, dass er nicht einmal die Stimme hob. «Mir fällt gerade ein – solche Beine, wie diese Kommode sie hat, suche ich schon lange. In meinem Häuschen habe ich einen recht aparten Tisch, so ein niedriges Ding, wie es die Leute vors Sofa stellen, eine Art Kaffeetischchen, und an dem haben mir im Herbst, als ich umzog, die dummen Packer die Beine völlig ruiniert. Dabei hänge ich so sehr an dem Tischchen. Ich habe immer meine dicke Bibel darauf liegen und die Notizen für meine Predigten.» Er machte eine Pause und strich sich mit dem Finger über das Kinn. «Jetzt dachte ich eben daran, dass sich die Beine Ihrer Kommode sehr gut verwerten ließen. Ja, tatsächlich. Man könnte sie ohne weiteres abschneiden und an meinen Tisch leimen.» Er wandte sich um und sah die drei Männer unbeweglich dastehen. Drei Paar Augen beobachteten ihn misstrauisch, drei verschiedene Augenpaare, aber alle gleich ungläubig: Rummins’ Schweinsäuglein, Clauds große, träge Augen und Berts Augen, deren eines sehr seltsam aussah, blass, verschwommen, wie gesotten, mit einem kleinen schwarzen Punkt in der Mitte, wie ein Fischauge auf einem Teller.
    Mr.   Boggis schüttelte lächelnd den Kopf. «Ach, was rede ich denn da? Ich tue ja, als gehörte das Ding mir. Entschuldigen Sie.»
    «Sie meinen, Sie wollen es kaufen?», fragte Rummins.
    «Nun …» Mr.   Boggis warf einen Blick auf die Kommode und legte die Stirn in Falten. «Ich weiß nicht recht. Ich möchte schon … und dann wieder … wenn ich’s mir überlege … nein … ich glaube, es würde doch zu viel Umstände machen. Das lohnt sich nicht. Ich lasse es lieber.»
    «Wie viel würden Sie bieten?», fragte Rummins.
    «Nicht viel, fürchte ich. Sehen Sie, es ist ja kein echtes altes Stück, bloß eine Nachahmung.»
    «Das weiß man nicht so genau», widersprach Rummins. «Wir haben die Kommode seit über

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