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Küsschen, Küsschen!: Elf ungewöhnliche Geschichten (German Edition)

Küsschen, Küsschen!: Elf ungewöhnliche Geschichten (German Edition)

Titel: Küsschen, Küsschen!: Elf ungewöhnliche Geschichten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roald Dahl
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zwanzig Jahren im Haus, und vorher hat sie oben im Schloss gestanden. Dort habe ich sie auf der Auktion gekauft, als der alte Herr gestorben war. Neu ist das Ding also nicht, so viel steht fest.»
    «Nicht gerade neu, aber bestimmt nicht älter als etwa sechzig Jahre.»
    «O doch», beharrte Rummins. «Bert, wo ist der Zettel, den du mal hinten in einer Schublade gefunden hast? Die alte Rechnung.»
    Der Sohn glotzte seinen Vater verständnislos an.
    Mr.   Boggis öffnete den Mund, schloss ihn aber sofort wieder, ohne einen Laut von sich zu geben. Er zitterte buchstäblich am ganzen Leibe. Um sich zu beruhigen, trat er ans Fenster und blickte auf den Hof, wo eine dicke braune Henne Körner aufpickte.
    «Der Zettel lag hinten in einer Schublade unter den Kaninchenschlingen», sagte Rummins. «Los, hol ihn her und zeig ihn dem Pfarrer.»
    Als Bert zur Kommode ging, drehte sich Mr.   Boggis um. Er konnte nicht anders, er musste ihm zuschauen. Der Bursche zog eine der mittleren Schubladen auf, und Mr.   Boggis bemerkte, wie wundervoll weich sie herausglitt. Dann sah er Berts Hand unter Schnüren und Drähten herumwühlen.
    «Meinst du das?» Bert brachte ein mehrmals geknifftes, gelbliches Blatt zum Vorschein und reichte es seinem Vater, der es entfaltete und dicht vor die Augen hielt.
    «Wollen Sie mir etwa erzählen, dass dieses Schriftstück nicht steinalt ist?» Rummins hielt das Papier Mr.   Boggis hin, der es mit zitternder Hand nahm. Es war spröde und knisterte leise zwischen den Fingern. Die Schrift war schräg, wie gestochen:
     
Edward Montagu, Esq.
schuldet dem Thos. Chippendale für eine große Mahagonny Kommode aus außerordentlich feinem Holze, sehr reich geschnitzet, auf ausgekehlten Beinen, zwey sehr hübsch geschweifte, lange Auszüge in der Mitten und zwey ditto an jeder Seite, mit reich ziselierten Messing Handgriffen und Ornamenten, alles in vollendetstem Geschmack ausgearbeitet £ 87
     
    Mr.   Boggis hielt gewaltsam an sich, bemüht, die Erregung zu unterdrücken, die in seinem Innern wühlte und ihn schwindlig machte. O Gott, war das wundervoll! Mit dieser Nota stieg der Wert noch höher. Wie viel würde jetzt wohl herausspringen? Zwölftausend Pfund? Vierzehn? Vielleicht fünfzehn oder gar zwanzig? Wer konnte das wissen?
    Du lieber Himmel!
    Geringschätzig ließ er das Papier auf den Tisch fallen und sagte kühl: «Na bitte, ich hab’s ja gewusst – eine viktorianische Nachahmung. Das hier ist einfach die Rechnung, die der Verkäufer – der Mann, der sie gemacht und für alt ausgegeben hat – seinem Kunden ausstellte. Von der Sorte habe ich schon viele gesehen. Beachten Sie, dass er nicht sagt, er hätte sie selbst angefertigt. Er war schlau genug, sich nicht zu verraten.»
    «Sagen Sie, was Sie wollen», verkündete Rummins, «aber das ist ein altes Stück Papier.»
    «Natürlich, mein lieber Freund. Es ist viktorianisch, spätviktorianisch. Etwa achtzehnhundertneunzig. Sechzig oder siebzig Jahre alt. Hunderte davon habe ich gesehen. Damals gab es unzählige Tischler, die sich ein Gewerbe daraus machten, die schönen Möbel des achtzehnten Jahrhunderts zu imitieren.»
    «Hören Sie, Herr Pfarrer …» Rummins deutete mit einem dicken, schmutzigen Finger auf Mr.   Boggis. «Ich sage ja nicht, dass Sie keine Ahnung von Möbeln haben, aber was ich sage, ist dies: Wie können Sie so mächtig sicher sein, dass die Kommode nachgemacht ist, wenn Sie gar nicht wissen, wie sie unter all der Farbe aussieht?»
    «Kommen Sie», antwortete Mr.   Boggis. «Kommen Sie her, ich will es Ihnen zeigen.» Er wartete, bis sich die anderen um ihn geschart hatten. «Hat jemand ein Messer?»
    Claud förderte ein Taschenmesser mit Hornschale zutage. Mr.   Boggis nahm es und öffnete die kleinste Klinge. Scheinbar nachlässig, in Wirklichkeit jedoch mit größter Vorsicht, begann er, oben auf der Kommode ein wenig Farbe abzukratzen. Die weiße Schicht blätterte von der harten, alten Politur sauber ab, und als er etwa drei Quadratzoll freigelegt hatte, trat er zurück und sagte: «So, nun schauen Sie sich das an.»
    Es war wunderschön – ein kleiner Fleck Mahagoni, leuchtend wie ein Topas, warm und dunkel mit der echten Farbe seiner zweihundert Jahre.
    «Na und?», fragte Rummins.
    «Es ist behandelt. Das sieht doch jeder!»
    «Wieso? Erklären Sie mal, woran man das sieht.»
    «Schön. Ich muss allerdings sagen, dass so etwas nicht leicht zu erklären ist. Erfahrungssache, wissen Sie? Meine Erfahrung

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