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Küsschen, Küsschen!: Elf ungewöhnliche Geschichten (German Edition)

Küsschen, Küsschen!: Elf ungewöhnliche Geschichten (German Edition)

Titel: Küsschen, Küsschen!: Elf ungewöhnliche Geschichten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roald Dahl
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ungeheurer Anziehungskraft. Ganz anders dagegen ihr Mann, der Zahnarzt: In seiner Nähe kam sie sich nur wie eine Art ewiger Patient vor, wie jemand, der im Wartezimmer inmitten von Illustrierten sitzt und selten, wenn überhaupt jemals, hereingerufen wird, um die rasche, geschickte Berührung der sauberen, rosigen Hände zu erdulden.
    «Der Herr Oberst hat mir aufgetragen, Ihnen dies zu übergeben», sagte eine Stimme neben ihr. Sie drehte sich um und sah Wilkins, den Groom des Obersts, einen dürren Zwerg mit grauer Haut. Er legte ihr einen großen flachen Karton in die Arme.
    «Du meine Güte!», rief sie. «Das ist ja ein riesiges Ding! Was ist es denn, Wilkins? Haben Sie einen Brief für mich? Sollen Sie mir etwas ausrichten?»
    «Nichts», antwortete der Groom und entfernte sich.
    Im Zug brachte Mrs.   Bixby den Karton in die Einsamkeit eines Waschraums und verriegelte die Tür. Wie aufregend das war! Ein Weihnachtsgeschenk des Obersts. Sie fing an, die Schnur aufzuknoten. «Bestimmt ein Kleid», sagte sie laut. «Vielleicht sogar zwei Kleider. Oder eine Menge wundervoller Unterwäsche. Nachsehen will ich nicht. Nur nachfühlen und raten, was es ist, welche Farbe es hat und wie es aussieht. Und was es gekostet hat.»
    Sie machte die Augen fest zu, hob den Deckel und griff mit einer Hand in den Karton. Obenauf lag Seidenpapier – es war weich und raschelte. Auch ein Briefumschlag oder eine Karte war dabei. Sie kümmerte sich nicht darum und schob die Finger tastend unter das Seidenpapier.
    «Mein Gott», rief sie plötzlich. «Das ist doch nicht möglich!»
    Sie riss die Augen weit auf und starrte den Mantel an. Dann griff sie hastig zu und hob ihn aus dem Karton. Die dicken Pelzschichten machten ein angenehmes Geräusch, als sie beim Ausbreiten das Seidenpapier streiften. Nun hing der Mantel in seiner ganzen Länge zwischen Mrs.   Bixbys erhobenen Armen, und ihr stockte der Atem.
    So einen Nerz hatte sie noch nie gesehen. Es war doch Nerz – oder? Ja, natürlich war es Nerz. Aber was für eine herrliche Farbe! Dieses reine Schwarz! Das heißt, sie hielt es für Schwarz, aber als sie mit dem Pelz näher ans Fenster ging, stellte sie fest, dass ein Hauch von Blau darin war, ein tiefes, kräftiges Blau, wie Kobalt. Sie warf einen Blick auf das eingenähte Etikett. Aber da stand nur Wilder Labradornerz. Weiter nichts, weder wo er gekauft war noch sonst etwas. Dafür, sagte sie sich, hat gewiss der Oberst gesorgt. Der alte Schlaufuchs war vorsichtig und hinterließ nie Spuren. Umso besser für ihn. Aber was mochte der Mantel gekostet haben? Sie wagte kaum zu raten. Viertausend Dollar? Fünf? Sechs? Womöglich noch mehr.
    Sie musste ihn immerzu anschauen. Die Versuchung, ihn auf der Stelle anzuprobieren, war übermächtig. Rasch zog sie ihren einfachen roten Mantel aus. Ihr Herz klopfte wild, und ihre Augen waren fast unnatürlich geweitet. Gott, wie sich der Pelz anfühlte! Und diese weiten Ärmel mit den dicken, breiten Aufschlägen! Wer hatte denn einmal erzählt, dass man für die Ärmel immer weibliche Felle verarbeite und für alles Übrige männliche? Irgendjemand hatte das behauptet. Vermutlich Joan Rutfield, obgleich nicht einzusehen war, wieso gerade Joan etwas von Nerz verstehen sollte.
    Der große schwarze Mantel schien ganz von selbst über sie zu gleiten, wie eine zweite Haut. Du lieber Himmel! Was für ein herrliches Gefühl! Sie betrachtete sich im Spiegel. Phantastisch! Plötzlich war sie ein anderer Mensch. Sie sah blendend aus, strahlend, reich, glänzend, aufregend, begehrenswert, alles auf einmal. Wie eine Königin kam sie sich vor. In diesem Nerz konnte sie überall hingehen, und die Leute würden um sie herumspringen wie Kaninchen. Gar nicht zu sagen, wie schön der Mantel war!
    Mrs.   Bixby nahm das Kuvert, das noch immer in dem Karton lag, riss es auf und zog den Brief des Obersts heraus:
     
Du hast einmal gesagt, dass Du eine Vorliebe für Nerz hast, und deshalb habe ich Dir diesen Mantel besorgt. Man hat mir versichert, es sei sehr guter Nerz. Bitte, nimm ihn mit meinen aufrichtigen guten Wünschen als Abschiedsgeschenk, denn aus persönlichen Gründen werde ich nicht mehr in der Lage sein, Dich wiederzusehen. Leb wohl und alles Gute.
     
    Wie denn?
    Man stelle sich das vor!
    Einfach so, aus heiterm Himmel, gerade jetzt, wo sie so glücklich war.
    Kein Oberst mehr.
    Was für ein furchtbarer Schock.
    Sie würde ihn entsetzlich vermissen.
    Langsam strich Mrs.   Bixby über den

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