Küsschen, Küsschen!: Elf ungewöhnliche Geschichten (German Edition)
in ihnen ein Gefühl der Angst, der Enttäuschung. So sitzen sie denn abends gern gruppenweise in Clubs oder Bars zusammen, trinken Whisky, schlucken Pillen und suchen einander mit Geschichtenerzählen zu trösten.
Das Grundthema dieser Geschichte ändert sich nie. Im Mittelpunkt der Handlung stehen immer drei Personen – der Mann, seine Frau und der gewissenlose Kerl. Der Gatte ist ein sauberer, anständiger Mensch, der in seinem Beruf schwer arbeitet. Die Frau ist durchtrieben, hinterlistig, sinnlich und hat unweigerlich ein Techtelmechtel mit dem gewissenlosen Kerl. Der Mann ist viel zu gut, als dass er ihr misstraute. Für ihn sieht es trübe aus. Was wird mit ihm werden? Muss er bis an sein Lebensende als Hahnrei herumlaufen? Alles deutet darauf hin. Aber halt! Durch einen genialen Streich bringt es der Ehemann plötzlich fertig, die Ungetreue mit ihren eigenen Waffen zu schlagen. Sie ist verblüfft, bestürzt, gedemütigt, besiegt. Die Zuhörerrunde in der Bar lächelt still in sich hinein und schöpft aus diesem Phantasiegebilde ein wenig neuen Mut.
Solche Geschichten sind viele im Umlauf, tröstliche Erfindungen aus der Welt der Wunschträume, aber die meisten von ihnen sind entweder so albern, dass es nicht lohnt, sie weiterzuerzählen, oder so gewagt, dass man sie nicht zu Papier bringen kann. Eine jedoch ist dabei, die mir besser erscheint als die anderen, zumal sie den Vorzug hat, wahr zu sein. Sie ist äußerst beliebt bei zwei- oder dreimal gehörnten, trostsuchenden Männern, und falls Sie zu diesen gehören und die Geschichte noch nicht kennen, so werden Sie vielleicht Spaß an ihr haben. Die Geschichte heißt «Mrs. Bixby und der Mantel des Obersts», und hier ist sie:
Mr. und Mrs. Bixby bewohnten irgendwo in New York City eine kleine Wohnung. Mr. Bixby war Zahnarzt und hatte ein durchschnittliches Einkommen. Mrs. Bixby war eine große, kräftige Frau mit feuchten Lippen. Einmal im Monat, immer an einem Freitagnachmittag, setzte sich Mrs. Bixby auf dem Pennsylvania-Bahnhof in einen Zug und fuhr nach Baltimore, um ihre alte Tante zu besuchen. Die Nacht verbrachte sie bei der Tante, und tags darauf kehrte sie nach New York zurück, zeitig genug, um für ihren Mann das Abendessen zu bereiten. Gutartig, wie er war, fand sich Mr. Bixby mit dieser Dauereinrichtung ab. Er wusste, dass Tante Maude in Baltimore lebte und dass seine Frau sehr an der alten Dame hing; es wäre daher höchst unvernünftig gewesen, hätte er den beiden die Freude des monatlichen Zusammenseins verweigert.
«Aber erwarte nur nicht, dass ich dich begleite», hatte er gleich zu Anfang erklärt.
«Natürlich nicht, Liebling», hatte Mrs. Bixby geantwortet. «Schließlich ist sie ja nicht deine Tante, sondern meine.»
Soweit war alles gut.
Allerdings muss gesagt werden, dass die Tante nicht viel mehr als ein bequemes Alibi für Mrs. Bixby war. Im Hintergrund lauerte der gewissenlose Kerl in Gestalt eines als «der Oberst» bekannten Herrn, und unsere Heldin verbrachte den größten Teil ihres Aufenthaltes in Baltimore mit diesem Schurken. Der Oberst war außerordentlich reich. Er lebte in einem entzückenden Haus am Stadtrand, unbehindert von Frau oder Familie, nur mit ein paar treuen und diskreten Dienstboten. In Mrs. Bixbys Abwesenheit vergnügte er sich damit, seine Pferde zu reiten oder an Fuchsjagden teilzunehmen.
So ging es Jahr um Jahr, und nichts störte die Liaison zwischen Mrs. Bixby und dem Oberst.
Sie waren selten zusammen – zwölfmal im Jahr ist nicht viel, wenn man es recht bedenkt –, und so war praktisch nicht damit zu rechnen, dass einer des anderen überdrüssig würde. Im Gegenteil, die langen Pausen zwischen den einzelnen Begegnungen förderten die Zärtlichkeit, und jedes Wiedersehen war ein aufregendes Erlebnis.
«Hallo!», rief der Oberst jedes Mal, wenn er sie in seinem großen Wagen vom Bahnhof abholte. «Ich hatte schon beinahe vergessen, wie entzückend du bist, Liebste.»
Acht Jahre verstrichen.
Kurz vor Weihnachten stand Mrs. Bixby wieder einmal auf dem Bahnhof von Baltimore und wartete auf den Zug, der sie nach New York zurückbringen sollte. Der Besuch, der hinter ihr lag, war besonders erfreulich gewesen, und sie war sehr vergnügt. Das Zusammensein mit dem Oberst wirkte sich übrigens immer vorteilhaft auf ihre Stimmung aus. Er hatte die Gabe, sie so zu behandeln, dass sie sich wie ein Ausnahmegeschöpf vorkam, wie ein zartes exotisches Wesen von
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