Küsschen, Küsschen!: Elf ungewöhnliche Geschichten (German Edition)
eine Königin aus ihr.»
«Beweisen kannst du das aber nicht», warf Mrs. Taylor ein.
«Bitte, Mabel, rede nicht so dumm daher. Tausende haben es wieder und wieder bewiesen, berühmte Gelehrte in allen Ländern der Erde. Man braucht nur eine Larve aus einer gewöhnlichen Zelle in eine Königinnenzelle zu tun, und schon wächst sie sich im Eiltempo zu einer Königin aus, vorausgesetzt, dass die Ammenbienen sie gut mit Gelée Royale versorgen. Was die Sache noch wunderbarer macht, ist der enorme Unterschied zwischen der Königin und der Arbeitsbiene, wenn sie ausgewachsen sind. Der Hinterleib ist anders gestaltet. Der Stachel ist anders. Die Beine sind anders. Der …»
«Worin unterscheiden sich denn die Beine?», fragte sie, um ihn auf die Probe zu stellen.
«Die Beine? Nun, die Arbeiterinnen haben sogenannte Körbchen an den Beinen, in denen sie den Blütenstaub transportieren. Die Königin hat keine. Und noch etwas. Die Königin hat vollständig entwickelte Geschlechtsorgane. Bei den Arbeiterinnen sind sie verkümmert. Das verblüffendste aber ist, dass die Königin durchschnittlich vier bis sechs Jahre lebt, während es eine Arbeitsbiene kaum auf ebenso viele Monate bringt. Und das alles nur, weil die eine Gelée Royale bekommen hat und die andere nicht.»
«Schwer zu glauben, dass allein die Ernährung so etwas bewirken kann», sagte sie.
«Natürlich ist es schwer zu glauben. Auch das ist eines der Wunder des Bienenstocks. Sogar das größte von allen. Ein so großes Wunder ist es, dass die Gelehrten jahrhundertelang daran herumgerätselt haben. Warte einen Augenblick. Bleib sitzen. Rühre dich nicht vom Fleck.»
Wieder sprang er auf, ging zum Bücherschrank und wühlte in den aufgeschichteten Heften.
«Ich will dir ein paar Berichte heraussuchen. Hier ist schon einer. Hör mal zu.» Er fing an, aus einer Nummer der Amerikanischen Bienenzeitschrift vorzulesen: «Als Leiter eines ausgezeichneten Forschungslaboratoriums in Toronto, das die Bevölkerung von Kanada ihm, dem Entdecker des Insulins, in Anerkennung seiner großen Verdienste um die Menschheit geschenkt hat, wollte Dr. Frederick A. Banting Näheres über Gelée Royale erfahren und beauftragte seinen Mitarbeiterstab, eine grundlegende Analyse vorzunehmen …»
Albert hielt inne.
«Nun, ich brauche dir nicht alles vorzulesen, aber hier steht jedenfalls, dass Dr. Banting und seine Mitarbeiter Gelée Royale aus Königinnenzellen nahmen, in denen sich zwei Tage alte Larven befanden. Und die Analyse ergab – na, was glaubst du wohl? Sie ergab», fuhr er fort, «dass Gelée Royale Karbolsäuren enthält, Glyzeride, Dextrose und – jetzt pass auf – und achtzig bis fünfundachtzig Prozent unidentifizierte Säuren!»
Mit der Zeitschrift in der Hand stand er neben dem Bücherschrank. Um seine Lippen spielte ein verstohlenes Triumphlächeln, und Mrs. Taylor beobachtete ihn verwirrt.
Er war nicht groß. Sein derber, breiter, fleischiger Körper ruhte auf zu kurz geratenen Beinen, die leicht gebogen waren. Der runde, massige Schädel war mit kurzgeschnittenem borstigem Haar bedeckt. Auf Kinn und Wangen wucherte gelblich brauner Flaum, der etwa einen Zoll lang war, da Albert neuerdings auf das Rasieren verzichtete. Er sah ziemlich grotesk aus, das ließ sich nicht leugnen.
«Achtzig bis fünfundachtzig Prozent unidentifizierte Säuren», wiederholte er. «Ist das nicht phantastisch?» Er wandte sich von neuem dem Schrank zu und suchte andere Zeitschriften durch.
«Was sind denn unidentifizierte Säuren?»
«Das ist es ja gerade! Niemand weiß es. Nicht einmal Banting hat sie bestimmen können. Hast du mal was von Banting gehört?»
«Nein.»
«Er ist so ungefähr der berühmteste lebende Arzt der Welt, weiter nichts.»
Mrs. Taylor sah ihn mit seinem borstigen Kopf, dem haarigen Gesicht und dem plumpen gedrungenen Körper vor dem Bücherschrank hocken, sie hörte seine summende Stimme, und plötzlich fiel ihr auf, dass er irgendwie an eine Biene erinnerte. Sie hatte schon oft festgestellt, dass Frauen mit der Zeit anfingen, ihren Reitpferden zu gleichen, und dass Leute, die Vögel, Bullterrier oder Spitze züchteten, eine gewisse Ähnlichkeit mit den Tieren ihrer Wähl hatten. Nie zuvor aber hatte sie bemerkt, dass ihr Mann wie eine Biene aussah, und so war diese Entdeckung ein gelinder Schock für sie.
«Hat dieser Banting jemals versucht, Gelée Royale zu essen?», erkundigte sie sich.
«Gegessen hat er’s natürlich nicht,
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