Küssen auf eigene Gefahr
gab.
»Catherine, denkst du tatsächlich, ich hätte mich seelenruhig auf den Weg nach Hause gemacht, wenn ich geglaubt hätte, dass es die beiden ernst meinen?«
Catherine holte tief Luft, um sich zu beruhigen, stellte die saubere Tasse auf das Abtropfgestell und drehte sich zu ihrer Schwester um, die sie mit vorwurfsvollem Blick ansah. »Nein, natürlich nicht«, sagte sie, und sie schämte sich, weil sie einen Augenblick lang tatsächlich genau das gedacht hatte. Verantwortungsbewusstsein war schließlich noch nie Kaylees starke Seite gewesen. »Und vielleicht hast du ja Recht. Vielleicht war es ja wirklich bloß leeres Gerede.« Sie krümmte sich innerlich bei diesen dürftigen Worten, und ihr war klar, dass sie sich reinem Wunschdenken hingab. Kaylee war den weiten Weg nicht zum Spaß gekommen.
»Das hatte ich auch gehofft«, sagte Kaylee. »Aber ich habe Alice mindestens ein Dutzend Mal angerufen, und sie war nie da. Und zur Arbeit ist sie auch nicht mehr gekommen, Cat. Und zwar, weil sie tot ist, das spüre ich.«
Catherine lehnte sich zitternd gegen die Arbeitsplatte. Es fiel ihr schwer, einen klaren Gedanken zu fassen. »Aus welchem Grund könnte Sanchez sie denn umbringen wollen? Er muss doch irgendein Motiv haben, sonst ergibt das Ganze überhaupt keinen Sinn.«
»Darüber habe ich mir auch schon den Kopf zerbrochen, und ich habe den Verdacht, dass Alice damit gedroht hat, zu Mrs. Sanchez zu gehen und ihr alles zu erzählen.«
»Warum sollte sie das tun? Das Mindeste wäre doch, dass es sie den Job kostet, oder?«
»Ja, aber Alice war ehrgeizig, sie wollte mehr als über eine Bühne staksen.«
»Tanzen«, verbesserte Catherine sie automatisch, und Kaylee bedachte ihre Schwester mit einem liebevollen Grinsen.
»Na, die Gehirnwäsche von Mama hat bei dir ja offensichtlich gut funktioniert.« Catherines Gesicht verzog sich zu einem kläglichen zustimmenden Lächeln, doch Kaylee nahm es kaum zur Kenntnis, sondern fuhr, wieder ernst geworden, fort: »Vielleicht glaubte Alice, Mr. Sanchez auf diese Weise dazu bringen zu können, Mrs. Sanchez den Laufpass zu geben und sie zu heiraten.«
Catherine umklammerte mit beiden Händen die Kante der Arbeitsplatte und sah auf ihre Schwester hinunter. »Kann sein, aber das erscheint mir immer noch nicht als ausreichender Grund, sie umzubringen.«
»In dieser Familie hat Mrs. Sanchez die Hand auf dem Geldbeutel, Cat.«
»Oh Scheiße.«
»Das kannst du laut sagen, Schwesterherz.«
»Na gut, damit hätten wir also ein mögliches Motiv. Aber wenn du in der Garderobe warst, Kaylee, mit einer Wand zwischen dir und den Männern, warum sollten sie dann auf die Idee kommen, dass du irgendetwas gehört haben könntest?«
»Ich bin hinterher draußen auf dem Flur Jimmy Chains in die Arme gelaufen.« Catherines Gesichtsausdruck veranlasste Kaylee, rechtfertigend hinzuzufügen: »Ich dachte, dass sie weg sind! Ich habe sie beide aus dem Klo gehen hören, aber Chains hatte wohl vergessen zu pinkeln oder so. Das sähe ihm ähnlich - wenn das Hirn dieses Kerls aus reinem Gold wäre, würde der Gegenwert doch nicht reichen, um damit einen Lippenstift im Drogeriemarkt zu kaufen. Aber wie dem auch sei, als ich aus der Garderobe lief, um Maria zu suchen und so schnell wie möglich zu verschwinden, kam er mir im Flur entgegen.«
»Wenn er nicht gerade der Hellste ist, hat er vielleicht gar keinen Verdacht geschöpft.«
»Von allein käme er wahrscheinlich nicht darauf«, stimmte Kaylee zu. »Aber er redet gern, und ich habe furchtbare Angst, dass er es Hector gegenüber erwähnt. Denn wenn das passiert, Catherine, bin ich genauso tot wie Alice.« Sie sah ihre Schwester an. »Ich bin nicht hysterisch, Cat. Ich habe gehört, wie Hector Jimmy erklärte, wo er die Leiche vergraben soll. Ohne Leiche kein Verbrechen. Mit Leiche - und einer Zeugenaussage, die Hector mit dem Mord in Verbindung bringt - wandert er vermutlich einige Jahre in den Knast. Ich habe jede Menge Nachrichten auf Alice' Anrufbeantworter hinterlassen, dass sie mich zurückrufen soll. Falls Hector das Band abgehört hat und auch nur den leisesten Verdacht hegt, dass ich etwas von seinen Plänen mitbekommen habe, bin ich so gut wie tot.«
Catherine stieß sich von der Arbeitsplatte ab. »Du musst zur Polizei gehen, Kaylee.«
»Also, äh, was das angeht, Caty ...« Ihre Zwillingsschwester vermochte nicht, ihr in die Augen zu sehen.
»Oh, nein.« Catherine richtete sich stocksteif auf. »Was noch? Was hast du
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