Kullmann
denn mit ihren persönlichen Eindrücken würde sie bei Kullmann kein Gehör finden, weil er Esche als Polizeibeamten sehr lobte und auf seine Fähigkeiten nicht mehr verzichten wollte.
»Verdammt heiß siehst du aus«, meinte er mit zuckersüßer Stimme, die Anke zum Kochen brachte.
»Verschwinde lieber, sonst muss ich kotzen«, wehrte Anke ihn sofort ab.
»Das glaube ich nicht! Oder leidest du an Bulimie, wie so viele junge Frauen, die mit Gewalt schlank sein wollen?«, höhnte Esche.
Anke ärgerte sich darüber, wie aalglatt er ihre Abfuhr überging.
»Dieser Reitsport hat wirklich seine Vorzüge«, machte er einen neuen Anlauf; als sie an ihm vorbeiging, gab er ihr einen Klaps auf den Po.
Im gleichen Augenblick, als Anke ihn anschnauzen wollte, betraten Esther Weis und Jürgen Schnur den Flur. Als sie Anke und Esche sahen, meinten sie vergnügt: »Hey ihr Beiden, es gibt schönere Orte, den gemeinsamen Feierabend zu verbringen. Gelegenheiten, Überstunden zu machen, bekommt ihr noch genug!«
Mit dem Ausdruck unverschämter Zufriedenheit verschwand Esche in seinem Büro, während Anke mit hochrotem Kopf das Gebäude verließ.
Sie hätte dem Kollegen Jürgen Schnur mehr Feingefühl zugetraut. Seit Anke auf dieser Dienststelle arbeitete, kannte sie ihn als zuverlässigen und aufmerksamen Mitarbeiter, der immer sachlich blieb. Wie war es möglich, dass er sich plötzlich zu oberflächlichen Floskeln hinreißen ließ?
Esther war ihm vor zwei Jahren als Teamkollegin zugeteilt worden, wofür Anke sie beneidete.
Hatte sie ihm schon die Augen zugeschmiert?
Während Esther ihr Leben in vollen Zügen genoss, war Jürgen seit vielen Jahren glücklich verheiratet und hatte kein Interesse an Abenteuern. Esther bemühte sich ständig, Jürgen von seinem Pfad der Tugend abzubringen, bisher erfolglos.
Sie wusste ihr Glück gar nicht zu schätzen. Ihre beruflichen Aussichten waren stabil und sicher. Aber Anke stand vor der Frage, welchem Kollegen sie zugeteilt werden würde, wenn Kullmann nicht mehr da war.
Jürgen Schnur wäre ihr am liebsten gewesen, weil er es gut verstand, Arbeit und Privatleben zu trennen, ohne andere damit zu verletzen.
Bei diesen Gedanken seufzte sie. Kullmanns Weggang würde viele Veränderungen bringen. Dabei war es ausgerechnet Kullmann, der immer beteuerte, jeder Mensch sei zu ersetzen. In seinem Fall war sich Anke nicht so sicher.
*
Der Stall lag am Rande der Stadt im Stadtteil Gersweiler. Es war eine wunderschöne, große Reitanlage direkt am Stadtwald mit zwei Reithallen und einem großen Außenplatz. Als Anke vorfuhr, sah sie, dass großer Betrieb auf dem Reitplatz herrschte. Viele Reiter gaben zusammen mit ihren Pferden ein sehr lebendiges Bild ab. Einige Pferde bewegten sich sehr gelassen und zufrieden und erhielten ständig Lob von ihren Reitern. Andere Reiter hingegen wirkten so, als müssten sie ständig gegen ihr Pferd ankämpfen, wodurch Reiter und Pferd äußerst verkrampft aussahen. Ständig nörgelten sie an den Pferden herum, die darauf wiederum nur noch widerspenstiger reagierten, was manchmal ausgesprochen lustig wirkte.
Anke tauchte in eine andere Welt, wenn sie Wiehern hörte und den Duft von Ammoniak roch. Manche lästerten von Gestank, andere sogen diesen Geruch ein und empfanden ihn als eine Wohltat für die Nase. So auch Anke! Sie baute sich hier eine heile Welt auf, in der sie eine Sprache lernte, die meilenweit von dem formalen, trockenen Amtsdeutsch entfernt war, zu dem sie ihr Beruf verpflichtete. Wer wusste schon, was beim Striegeln, Trensen oder Satteln zu tun war, was Schenkelweichen, am Zügel gehen oder in einer Abteilung reiten bedeutete. Das sollte auch so bleiben, und Anke würde sich nie verpflichtet fühlen, diese Dinge einem Außenstehenden zu erläutern. Die vielen neuen Wörter waren wie die geheimen Pforten, die sich früher nur in Märchen für sie geöffnet hatten. Jetzt konnte sie ganz für sich mit diesen Wörtern den Zugang zu ihrem Reiten ermöglichen. Sie befanden sich in ihrem Besitz und waren dort wohl verwahrt. Und sie schafften auch die neuen Beziehungen zu den anderen Reitern in dem bunten Karussell von Ablehnung und Freundschaft, von Neid und Vertrauen, das sich mit vielen Überraschungen drehte und immer wieder mit neuem Leben füllte. Genau wie im Dienst, kam es ihr in den Sinn, nur mit anderen Vorzeichen. Hier konnte sie sich jederzeit zurückziehen und sich schützen. Ihren Dienst verrichtete sie mit zuversichtlichem Ehrgeiz;
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