Kullmann
Esther waren froh, Anke wieder in ihrer Mitte zu haben. Ihre Begrüßung fiel so herzlich aus, dass Ankes anfängliche Bedenken, in dieser Abteilung einen schweren Stand zu haben, sich in Nichts auflösten. Theo Barthels, Fred Feuerstein und Kurt Wollny schlossen sich den Willkommensgrüßen der Kollegen an. Als sich die Wogen des hocherfreuten Wiedersehens glätteten, bemerkte sie die neue Kollegin, die auf Anke riesengroß wirkte. Anke hatte sich mit ihren 175 cm oft für zu groß gehalten, aber diese Frau überragte sie an Körpergröße. Stolz und elegant gekleidet mit einem maßgeschneiderten Hosenanzug stand sie neben Dieter Forseti, dessen große, schlanke Erscheinung ebenfalls einen tadellosen Eindruck hinterließ. Ihre Miene wirkte hochnäsig. Durch ihre Größe konnte sie mühelos auf andere herabblicken, was sie auch unverhohlen tat. Außer auf Erik, wobei Anke sofort das Gefühl hatte, dass sie den Blickkontakt zu ihm suchte. Aber Erik schenkte ihr keine Aufmerksamkeit. Er stand etwas abseits, als sei ihm diese ganze Geselligkeit unangenehm.
Dieter Forseti stellte Anke die neue Kollegin als Claudia Fanroth vor; sie gaben sich mit deutlicher Zurückhaltung die Hand, eine steife Geste, die offensichtlich von Forseti erwartet wurde. Von nahem wirkte Claudias Gesicht streng. Ihre glatten, blonden Haare hatte sie zu einem schlichten Zopf im Genick zurückgebunden. Sie hatte ein ebenmäßiges, hübsches Gesicht, was Anke ihr neidlos zugestehen musste, obwohl sie nach außen sehr arrogant und humorlos wirkte. Wortlos drehte sie sich um und stellte sich wieder auf ihren Platz neben den neuen Chef.
Wollny hielt eine lange und warmherzige Lobesrede für Norbert Kullmann, dessen Weggang er sehr bedauerte. Die Ansprache war so schön, dass Anke Mühe hatte, nicht schon wieder loszuheulen.
Anschließend knallten die Sektkorken. Jeder bekam ein Glas Sekt. Als sie alle auf Kullmanns neuen Lebensabschnitt anstießen, bemerkte Anke, dass Erik keinen Sekt trank. In seiner Hand hielt er ein Wasserglas. Sofort erinnerte sie sich an seine Tragödie, von der er ihr erzählt hatte, als sie gerade damit begonnen hatten, Kullmanns raffinierten Plan in die Tat umzusetzen, Kurt Spengler und Horst Esche in die Falle zu locken. Damals hatte sie deutlich gespürt, dass er ihr nicht alles erzählt hatte. Nun glaubte sie die Antwort darauf bekommen zu haben, ohne ihn fragen zu müssen. In einer festlichen Situation wie dieser Wasser anstelle von Sekt zu trinken, ließ sie vermuten, dass Alkohol der Grund für seine Schuldgefühle war.
Als Erik sie ansah, sah sie an seinen Augen, dass sie ihn verstand.
Dieses fröhliche Fest hatte sich Kullmann mehr als verdient, doch bedauerte es Anke, dass sie nicht in Stimmung zum Feiern war. Abseits des Geschehens beobachtete sie die Belegschaft ihrer Abteilung; nur wenige der alten Mannschaft waren übrig geblieben. Walter Nimmsgern und Andreas Hübner waren ermordet worden; Esche trat nun seinen Dienst für die nächsten Jahre in einer Gefängniszelle an und Norbert Kullmann ging in den Ruhestand. Das machte die Hälfte der Abteilung aus. Diese schrecklichen Umstände erschienen ihr zu frisch, als dass sie ausgelassen hätte feiern können; über der Zukunft hing ein großes Fragezeichen.
Erik Tenes kannte die neue Mitarbeiterin Claudia Fanroth und den neuen Vorgesetzten Dieter Forseti, wie Anke betroffen feststellte. Sie standen zusammen und plauderten angeregt miteinander. Erik machte dabei einen lebhaften Eindruck, so wie Anke ihn noch nicht kennen gelernt hatte. Das erschwerte ihre Situation. Wie eine Verschwörung wirkte die Szene auf sie. Nun musste sie besonders aufpassen, sonst rutschte sie in die Rolle der Außenseiterin, die sich ihren Status in der eigenen Abteilung neu erkämpfen musste.
Wie sehr Kullmanns letzter Fall doch alles verändert hatte!
Sie sah, wie ihr alter Chef sich langsam dem Ausgang näherte. Rasch folgte sie ihm und beobachtete ihn dabei, wie er in jedes Zimmer einen letzten Blick warf, bevor er die Diensträume für immer verließ. An der Tür sagte er zu der ganzen Gesellschaft: »Für mich waren diese Räume wie ein Zuhause. Anfangs glaubte ich, dass es ein Fehler sei, dieses Zuhause aufzugeben, aber ich gehe mit einem weinenden und einem lachenden Auge. Ich werde nämlich eine wunderbare Frau heiraten und mit ihr meinen Lebensabend verbringen.«
Nach den besten Wünschen der Festgäste verließ er das Gebäude.
Anke stellte sich an das Fenster ihres neuen
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