Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kultur 04: Ein Geschenk der Kultur

Kultur 04: Ein Geschenk der Kultur

Titel: Kultur 04: Ein Geschenk der Kultur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iain Banks
Vom Netzwerk:
sehr
überzeugt; er sah mich nicht an und hielt den Kopf hoch erhoben,
während wir die Straße entlang gingen. »Das glaube
ich ganz und gar nicht. Ich glaube, ich werde hier sehr
glücklich sein.«
    Hier glücklich sein. In dem großartigen, kalten Design
und der falschen Wärme der Neonleuchtreklamen, während die
Betrunkenen ihre Verpflegung in Einkaufstüten mit sich
herumtrugen und die Süchtigen bettelten und die Habenichtse nach
wärmeren Abzugsgittern und einem dickeren Pappkarton suchten. Es
schien hier schlimmer zu sein; man sah so etwas auch in Paris und
London, aber hier erschien es schlimmer. Tritt einen Schritt aus
einem Laden, in den man ohne Anmeldung nicht hineinkommt,
überquere, beladen mit Beute, den Gehsteig zu dem Roller, Merc
oder Caddy, der am Bordstein mit brummendem Motor wartet,
während die armselige, zerschundene Hülle eines
menschlichen Wesens keinen Steinwurf entfernt daliegt, aber man wird
nie bemerken, daß sie einen bemerken… Aber vielleicht war
ich einfach zu empfindlich, unter Schock stehend; das Leben auf der
Erde war nun mal ein Kampf, und die Kultur war hierfür
hundertprozentig nicht zuständig. Ein Jahr war das
äußerste, was man von einem von uns erwarten konnten
durchzuhalten, und ich war so ziemlich am Ende meiner
Widerstandskraft.
    »Es wird alles in Ordnung kommen, Sma. Ich bin sehr
zuversichtlich.«
    Wenn man hier auf der Straße stürzt, werden die anderen
einfach um einen herumgehen…
    »Ja, ja, sicher hast du recht.«
    »Hör mir zu!« Er blieb stehen und faßte mich
am Ellbogen, um mich umzudrehen, so daß wir uns von Angesicht
zu Angesicht gegenüberstanden. »Ich muß dir etwas
sagen. Ich weiß, daß du mich deswegen wahrscheinlich
nicht mögen wirst, aber es ist wichtig für mich.« Ich
blickte ihm in die Augen, die sich hin und her bewegten, um
abwechselnd in die meinen zu sehen. Seine Haut sah fleckiger aus, als
ich sie in Erinnerung hatte; der Schmutz saß ganz tief in den
Poren.
    »Ich lerne. Ich werde der römisch-katholischen Kirche
beitreten. Ich habe Jesus gefunden, Diziet; ich bin gerettet. Kannst
du das verstehen? Bist du mir böse? Ärgert dich
das?«
    »Nein, es ärgert mich nicht«, sagte ich schwach.
»Das ist großartig, Dervley. Wenn du glücklich bist,
freue ich mich für dich. Meine Gratulation.«
    »Wunderbar!« Er umarmte mich. Ich wurde gegen seine
Brust gedrückt; festgehalten; freigegeben. Wir gingen weiter,
beschleunigten unsere Schritte. Er schien höchst zufrieden.
»Verdammt, ich kann dir sagen, Dizzy, es ist schön hier, zu
leben und zu wissen, daß es so viele Leute gibt, daß so
viel passiert! Wenn ich morgens aufwache, muß ich eine Zeitlang
nur so daliegen und mich davon überzeugen, daß ich
wirklich hier bin und daß dies alles tatsächlich mir
widerfährt; wirklich, so ist es. Ich gehe durch die Straße
und sehe mir die Leute an, sehe sie einfach nur an! Letzte Woche
wurde in dem Haus, in dem ich wohne, eine Frau getötet; kannst
du dir das vorstellen? Niemand hat das geringste gehört. Ich
gehe aus und fahre mit dem Bus und kaufe mir Zeitungen und sehe mir
am Nachmittag alte Filme an. Gestern habe ich beobachtet, wie einem
Mann gut zugeredet wurde, damit er von der Queensboro-Brücke
herunterkam. Ich glaube, die Leute waren enttäuscht. Und
weißt du was? Als er unten war, behauptete er, Anstreicher zu
sein!« Linter schüttelte den Kopf und grinste. »He,
gestern habe ich etwas Schreckliches gelesen, soll ich es dir
erzählen? Ich habe gelesen, daß es manchmal wirklich
komplizierte Geburten gibt, bei denen das Baby im Mutterleib
festklemmt und wahrscheinlich bereits tot ist, und dann muß der
Arzt in die Frau hineingreifen und den Schädel des Ungeborenen
in die Hand nehmen und ihn zerquetschen, um die Mutter zu retten.
    Ist das nicht entsetzlich? Ich glaube nicht, daß ich so
etwas je hätte verzeihen können, auch bevor ich Jesus
gefunden habe.«
    »Warum kann man in solchen Fällen keinen Kaiserschnitt
machen?«
    »Ich weiß nicht. Ich weiß nicht. Das habe ich
mich auch gefragt. Weißt du, daß ich daran gedachte
hatte, aufs Schiff zurückzukehren?« Er warf mir einen
kurzen Blick zu und nickte. »Um zu erkunden, ob vielleicht noch
jemand bleiben möchte. Ich dachte, daß andere
möglicherweise meinem Beispiel folgen möchten, besonders,
nachdem ich mit ihnen geredet, Gelegenheit gehabt hätte, einiges
zu erklären. Ich dachte, sie könnten vielleicht einsehen,
daß ich recht habe.«
    »Warum hast du es nicht

Weitere Kostenlose Bücher