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Kultur 04: Ein Geschenk der Kultur

Kultur 04: Ein Geschenk der Kultur

Titel: Kultur 04: Ein Geschenk der Kultur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iain Banks
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Schiff
darstellte.
    Ich wanderte durch die Straßen, verwirrt und
verängstigt. Die Willkür war nur das Antippen einer
Taste meines Terminals weit von mir entfernt, bereit, Hilfe zu
schicken oder mich durch eine Notbeförderung hinaufschleudern zu
lassen, und trotzdem hatte ich Angst. Noch nie war ich an einem so
abschreckenden Ort gewesen. Ich ging die 42. Straße hinauf und
überquerte vorsichtig die Sixth Avenue, um auf ihrer anderen
Seite bis zu einem ganz bestimmten Kino zu gehen.
    Leute strömten heraus, unterhielten sich zu zweit oder zu
mehreren, schlugen sich die Mantelkrägen hoch, entfernten sich
hastig Arm in Arm, um an ein warmes Plätzchen zu gelangen, oder
standen da und hielten nach einem Taxi Ausschau. Ihr Atem bildete
Dunstschwaden vor ihren Mündern, und sie bewegten sich von den
Lichtern des Mutterschiffs zu den Lichtern des Foyers zu den Lichtern
den rauschenden Verkehrs. Linter kam als einer der letzten heraus; er
wirkte dünner und blasser als in Oslo, aber aufgeweckter,
schneller. Er winkte und kam auf mich zu. Er knöpfte seinen
ockerfarbenen Mantel zu, dann berührte er mit den Lippen sachte
meine Wange, während er nach seinen Handschuhen griff.
    »Hmm. Hallo. Du bist sicher ziemlich durchgefroren. Hast du
schon gegessen? Ich habe Hunger. Möchtest du etwas
essen?«
    »Hallo. Ich bin nicht durchgefroren. Eigentlich habe ich auch
keinen richtigen Hunger, aber ich komme mit und leiste dir
Gesellschaft. Wie geht es dir?«
    »Prima. Ganz prima.« Er lächelte.
    Er sah nicht prima aus. Er sah besser aus, als ich ihn in
Erinnerung hatte, aber nach den Maßstäben einer
Großstadt wirkte er etwas abgerissen und nicht gerade
wohlgenährt. Dieses hastige, bissige, unter Hochdruck stehende
Stadtleben hatte ihn angesteckt, schätze ich.
    Er zog mich am Arm. »Komm, gehen wir ein Stück. Ich
möchte mit dir reden.«
    »Einverstanden.« Wir setzten uns auf dem Gehsteig in
Bewegung. Ein Gewimmel und Gedrängel, all diese Schilder und
Lichter und dieser Radau und Gestank, das weiße Rauschen ihres
Daseins, der geschäftliche Brennpunkt der ganzen Welt. Wie
konnten sie das nur aushalten? Die Streunerinnen; die
offensichtlichen Irren mit starrenden Augen, die groteske
Fettleibigkeit; das kalte Erbrochene auf dem Pflaster und die
Blutflecken am Bordstein; und all diese vielen Schilder, diese
Werbesprüche und Lichter und Bilder, aufflackernd und grell,
aufdringlich und gebieterisch, verführerisch und fordernd mit
einer Grammatik aus schimmerndem Gas und unbrennbarem Draht.
    Dies war die Seele der Maschine, das ethnologische Epizentrum, die
planetarische Ebene Null ihrer kommerziellen Energie. Ich konnte es
fast spüren, es ergoß sich bebend, wie von Bomben
aufgewühlte Ströme aus Glas, herab von diesen
unfaßbaren Türmen aus Dunkelheit und Licht, die in den
schneedunklen Himmel eindrangen.
    Frieden im Nahen Osten? fragten die Zeitungen. Es wäre
bessser, statt dessen Bokassas Krönung zu feiern; so etwas gibt
mehr her.
    »Hast du ein Terminal dabei?« fragte Linter. Er
hörte sich irgendwie aufgeregt an.
»Natürlich.«
    »Würdest du es bitte auschalten?« sagte er. Er
runzelte die Stirn. Plötzlich sah er wie ein Kind aus.
»Bitte. Ich möchte nicht, daß das Schiff unser
Gespräch mithört.«
    Mir lag eine etwa dahingehende Bemerkung auf der Zunge, daß
das Schiff jedes einzelne Haar auf seinem Kopf mit einer Wanze
anzapfen könnte, aber ich verkniff sie mir. Ich schaltete die
Terminal-Brosche auf Standby.
    »Hast du Unheimliche Begegnungen gesehen?« fragte
Linter und beugte sich nah zu mir herüber. Wir gingen in
Richtung Broadway.
    Ich nickte. »Das Schiff hat uns gezeigt, wie der Film gemacht
wurde. Wir haben die endgültige Fassung als allererste zu sehen
bekommen.«
    »Ach ja, natürlich.« Menschen rempelten uns an,
eingewickelt in ihre dicke Kleidung, jeder für sich isoliert.
»Das Schiff hat gesagt, daß ihr bald abreisen werdet? Bist
du froh, wenn du von hier wegkommst?«
    »Ja, das bin ich. Ich hätte nicht gedacht, daß es
so sein würde, aber ich bin es tatsächlich. Und du? Bist du
froh, daß du bleibst?«
    »Wie bitte?« Ein Polizeiwagen brauste vorbei, dann noch
einer, Sirenen heulten. Ich wiederholte, was ich gesagt hatte. Linter
nickte und lächelte mich an. Ich hatte den Eindruck, daß
er aus dem Mund roch. »O ja.« Er nickte erneut.
»Natürlich.«
    »Ich halte dich immer noch für einen Narren, weißt
du. Es wird dir leid tun.«
    »Nein, das glaube ich nicht.« Er klang

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