Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kultur 08: Der Algebraist

Kultur 08: Der Algebraist

Titel: Kultur 08: Der Algebraist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iain Banks
Vom Netzwerk:
auf
Verletzungen, Traumata und böse Erinnerungen gestoßen und
hatte aufgehört, um sie nicht noch mehr zu kränken.
Daraufhin hatte er erst recht das Gefühl, der Ritter zu sein,
der die bedrängte Jungfrau rettete.
    Zuvor hatte sie als mittelmäßige Journalistin für
eine Technikzeitschrift gearbeitet und noch früher als
Tänzerin, Schauspielerin, Hostess und Masseurin gejobbt. Er
hatte sie aus dieser Existenz herausgeholt. An jenem Abend mit
Fassin, als er sie kennen lernte, hatte sie viel jünger
ausgesehen, als sie tatsächlich war – Saluus hielt
inzwischen sehr viel von der Kombination weiser Kopf auf jungen
Schultern – aber nachdem sie sein Angebot angenommen und sich
Behandlungen unterzogen hatte, von denen sie vorher nie zu
träumen gewagt hätte, sah sie jetzt noch besser aus. Sie
war ihm dankbar. Das sprach sie zwar nie so offen aus – es
hätte ihre Beziehung auch zu sehr belastet –, aber manchmal
sah er es in ihren Augen.
    Nun, auch er hatte allen Grund zur Dankbarkeit. Sie hatte seinem
Privatleben neuen Auftrieb gegeben, und gesellschaftlich war sie eine
echte Bereicherung.
    Im letzten Winkel seines Herzens schämte er sich sogar, weil
er sie Fassin ausgespannt hatte, und das bereitete ihm eine
zusätzliche Befriedigung. Saluus hatte den Jugendfreund nicht
direkt beneidet – eigentlich beneidete er niemanden, wie
käme er auch dazu? –, aber Fassins Leben war von einer
Unbeschwertheit, die Saluus sich immer gewünscht hatte, und die
er ihm deshalb verübelte. Zu einem großen Familienverband
zu gehören, inmitten von Menschen zu leben, die alle der
gleichen soliden Beschäftigung nachgingen und allein für
ihre Arbeit respektiert wurden, ohne sich bei Ausschreibungen, durch
positive Bilanzen, auf Aktionärs- und Betriebsversammlungen
ständig aufs Neue bewähren zu müssen… waren diese
akademische Geborgenheit, diese Sinnerfüllung nicht das wahre
Glück? Und dann ging der Junge auch noch hin, ließ sich
fünf Jahre lang in einem Miniatur-Gasschiff (das nicht einmal
von KHI gebaut worden war) in Schockgel einlegen wie ein Hering, zog
mit einer Horde degenerierter Dweller herum und wurde damit zum
Helden.
    Ob es das war, was Fassin für Liss so anziehend gemacht
hatte? Hatte sie ihn womöglich nur deshalb für Saluus
aufgegeben, weil die Gelegenheit günstig war? Nicht
auszuschließen. Aber es störte ihn nicht. Sal wusste, dass
auch Beziehungen ihren Marktwert hatten. Nur Kinder und romantische
Schwachköpfe sahen das anders. Man bewertete seine eigene
Attraktivität – körperlich, psychisch und
gesellschaftlich –, dann wusste man, wo man stand und konnte den
Blick entsprechend nach oben oder nach unten richten. Man konnte eine
Abfuhr riskieren, sich aber auch sozial verbessern, oder man
begnügte sich mit einem soliden Leben ohne große
Schwankungen und verzichtete darauf zu erfahren, was man hätte
erreichen können.
    Saluus sog die kalte Luft tief in seine Lungen.
    Die Sonne Ulubis war hinter den bewaldeten Bergen im
Südwesten untergegangen. Am dunkelvioletten Himmel erschienen
die ersten Sterne. Die sinkende Sonne zog das breite Glitzerband von
Orbitalhabitaten und –fabriken hinter sich her wie einen
erlöschenden Kondensstreifen, als hätte jemand eine Hand
voll funkelnden Staubs über den Himmel gestreut. Saluus
überlegte, wie viele dieser winzigen Fünkchen wohl ihm
gehörten. Es waren weniger als noch vor einem Jahr. Einige hatte
man verlegt, weil sie in ihren alten Bahnen allzu leicht zur
Zielscheibe geworden wären. Zwei waren zerstört worden
– beides große Docks, in denen zu jener Zeit Schiffe der
Navarchie lagen. Trümmer des einen waren auf Fessli City
gestürzt und hatten Zehntausende erschlagen, der Angriff selbst
hatte ein Vielfaches dieser Opfer gefordert. Jetzt wurde KHI wegen
Fahrlässigkeit der Prozess gemacht, man warf ihr vor, die
Dockschiffe nicht rechtzeitig entfernt zu haben. Obwohl man im Krieg
war und das Militär die Macht in Händen hatte, war für
solchen Unsinn immer noch Raum. Er war gerade dabei, ein paar Worte
in die richtigen Ohren zu flüstern, um eine pauschale
Ausnahmeregelung für Kriegszeiten zu erwirken.
    Saluus suchte hinter den Wolken seines eigenen Atems nach
Nasqueron, aber der Gasriese stand weit unter dem Horizont, und
selbst wenn Saluus sich auf dem richtigen Breitengrad befunden
hätte, wäre der Planet wahrscheinlich von all den Objekten
im Orbit verdeckt worden.
    Fassin. Trotz aller Vorbereitungen auf den Krieg und die

Weitere Kostenlose Bücher