Kultur 08: Der Algebraist
sich jederzeit eine neue
Hauptkampfeinheit bauen. Die Lusiferus VII war nichts als ein
Materieklumpen. Und nur das Ergebnis zählte. Er war kein Kind
mehr. Er hegte keine sentimentalen Gefühle für ein
Schiff.
Belastender war die Überlegung, ob selbst dieses Opfer
ausreichte. Sie hatten das Ulubis-System in ihre Gewalt gebracht, sie
hatten bei der Invasion nur eine Hand voll Schiffe verloren und
konnten sich, nachdem sie einige feindliche Schiffe erbeutet hatten,
vermutlich als Sieger betrachten. Allerdings waren die bereits auf
dem Weg befindlichen Geschwader der Generalflotte ein nicht zu
unterschätzender Gegner. Sie hatten zahlenmäßig
weniger, aber bessere Schiffe. Es könnte ein harter Kampf
werden, und nur ein Schwachkopf ließ sich ohne Not auf so etwas
ein. Und die Flotte war schon so nahe! Die Nachricht hatte ihn tief
erschüttert.
Lusiferus hatte es zunächst nicht glauben wollen. Er hatte
gewütet und getobt und den Technikern immer wieder befohlen,
ihre Ergebnisse zu überprüfen. Das war unmöglich,
irgendwo musste ein Fehler stecken. Die Generalflotte konnte noch
nicht so weit gekommen sein. Man hatte ihm versichert, der
Gegenschlag würde ein halbes – vielleicht sogar ein ganzes
– Jahr auf sich warten lassen. Und nun stand der Gegner
praktisch vor der Tür, bevor sie noch richtig Fuß gefasst
hatten. Die Beyonder, diese Dreckskerle, hatten ihn betrogen. Er
würde sich bei Gelegenheit eine gebührende Strafe für
die elenden Verräter ausdenken. Doch zunächst musste er
sich um diesen Gegenangriff kümmern.
Wenn sie natürlich vor dem Eintreffen der Generalflotte ihr
Ziel erreicht hätten, könnte alles ganz anders
aussehen.
Doch es blieben nur wenige Wochen, um das Gesuchte zu finden, und
er hatte das dumpfe Gefühl, dass die Zeit nicht reichen
würde.
Fassin redete mit dem Schiff. Es hielt sich für tot.
Er hatte gehofft, die Rückreise von der Rovruetz zum
Direaliete-System würde schneller vonstatten gehen als der
Hinflug, weil das Voehn-Schiff leistungsfähiger war als die Velpin, aber er wurde enttäuscht. Die Protreptik konnte zwar stärker beschleunigen als die Velpin, aber der Voehn-Commander hatte Y’sul so schwer verletzt,
dass der Dweller die hohe Beschleunigung nicht überlebt
hätte. Also flogen sie sogar noch langsamer zurück, als sie
hergekommen waren.
Y’sul lag im Heilkoma. Quercer & Janath hatten ihm aus
einem der ausfahrbaren Kommandosessel eine provisorische Krankentrage
gebaut. Die beiden steigerten die Beschleunigung auf fünf Ge,
flogen ohne Antrieb, bis sie sich vergewissert hatten, dass der
Dweller durch den dabei entstehenden Druck keinen weiteren Schaden
gelitten hatte, gingen in kleinen Schritten bis auf zehn Ge und
kontrollierten wieder. Zu guter Letzt landeten sie bei vierzig Ge,
aber bis sie sich so weit vorgetastet hatten, war schon fast der
Punkt erreicht, an dem sie das Schiff drehen und die Bremsphase vor
dem Rücksturz in das System einleiten mussten.
Y’sul blieb im Genesungsschlaf. Der KI-Vollzwilling erkundete
mit wachsender Begeisterung die komplizierten Systeme und die
vielfältigen militärischen Kapazitäten des
Voehn-Schiffs. Fassin hatte nichts weiter zu tun, als neben
Y’sul auf einer eigenen provisorischen Beschleunigungsliege zu
schweben. Beim Anflug auf das Wurmloch würde er hier nicht
bleiben können; Quercer & Janath hatten ein paar Schotts
hinter dem Kommandoraum eine kleine Kabine gefunden, dort sollte er
das Ereignis abwarten. Bis dahin hatten sie ihm auf hartnäckiges
Drängen hin Zugriff auf die Computer der Protreptik gewährt, aber nur bis mehrere Ebenen über den
Kernsystemen, und sie bestanden darauf, ihn in Gestalt einer
Unterpersönlichkeit zu begleiten. Die Besuche sollten bei zwei-
bis dreifach verlangsamter Zeit stattfinden, was allen Beteiligten
entgegenkam. Zumindest, dachte Fassin, verginge damit die Reise
scheinbar schneller.
Die virtuelle Umgebung, in der sich Fassin mit dem Schiff treffen
durfte, bestand aus einem riesigen, halb verfallenen Tempel an einem
weiten, trägen Fluss am Rand einer großen, reglosen,
schweigenden Stadt, die von einer kleinen stationären Sonne mit
hellem blauweißem Licht beschienen wurde.
Fassin trat in menschlicher Gestalt auf, in bequemer Hauskleidung,
das Schiff erschien als hagerer alter Mann mit Lendenschurz. Die
KI-Subroutine war ein rotbrauner Menschenaffe mit langen, schlaksigen
Gliedern. Er hatte einen uralten, viel zu großen Helm auf dem
Kopf, einen verbeulten
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