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Kultur 08: Der Algebraist

Kultur 08: Der Algebraist

Titel: Kultur 08: Der Algebraist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iain Banks
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Harnisch mit abgerissenem Riemen über der
Trommelbrust, einen kurzen Kilt aus Lederstreifen um die knochigen
Hüften und ein rostiges Kurzschwert an der Seite.
    Als Fassin die Schiffspersönlichkeit zum ersten Mal besuchte,
hatte ihn der Affe an der Hand genommen und aus einer Tür die
Stufen hinunter zum Fluss geführt, wo der alte Mann saß
und über das träge braune Wasser schaute.
    Auf der anderen Seite des breiten öligen Stroms wogte eine
hügelige Wüste aus glitzernden Glasscherben, so weit das
Auge reichte. Als hätte man alle Glasscherben, die im Universum
jemals entstanden waren, an diesem einen Ort zusammengetragen.
    »Natürlich bin ich tot«, erklärte das Schiff.
Die Haut des alten Mannes war dunkelgrün, und seine Stimme klang
rau und keuchend. Das Gesicht war fast unbeweglich, eine Greisenmaske
mit struppigen weißen Bartstoppeln. »Das Schiff hat sich
selbst zerstört.«
    »Aber wenn du tot bist«, sagte Fassin, »wie kannst
du dann mit mir sprechen?«
    Der Greis zuckte die Achseln. »Tot zu sein heißt, nicht
länger zur Welt der Lebenden zu gehören. Wer tot ist, ist
ein Schatten, ein Geist. Das heißt nicht, dass man nicht
sprechen kann. Es ist sogar so ziemlich das Einzige, was man noch
kann.«
    Fassin verzichtete darauf, den Alten zu überzeugen, dass er
noch am Leben sei. »Wofür hältst du mich?«,
fragte er.
    Der Alte sah ihn an. »Mensch? Männlich? Ein
Mann.«
    Fassin nickte. »Hast du einen Namen?«, fragte er den
Greis.
    Der schüttelte den Kopf. »Nicht mehr. Ich war die Protreptik, aber jetzt ist das Schiff zerstört, und ich
bin tot, also habe ich keinen Namen.«
    Fassin legte eine Anstandspause ein, um dem Alten Gelegenheit zu
geben, sich nach seinem Namen zu erkundigen, aber die Frage blieb
aus.
    Der Affe saß zwei Meter von ihnen entfernt, zwei Stufen
näher an dem von Kletterpflanzen überwucherten Tempel. Nun
lehnte er sich zurück, stützte sich mit seinen langen Armen
ab, bohrte mit einer langen, zartgliedrigen Zehe im Ohr und
begutachtete mit großer Aufmerksamkeit, was er dabei zutage
förderte.
    »Als du noch am Leben warst«, sagte Fassin, »warst
du da wirklich lebendig? Warst du empfindungsfähig?«
    Der Alte schaukelte zurück und lachte kurz auf. »Du
meine Güte, nein. Ich war nur Software in einem Computer,
Photonen in einem Nanoschaumsubstrat. Das kann man im konventionellen
Sinn nicht als lebendig bezeichnen.«
    »Und abseits der Konvention?«
    Wieder ein Achselzucken. »Das spielt keine Rolle. Nur auf die
Konvention kommt es an.«
    »Erzähle mir etwas über dich, über dein
Leben.«
    Ein leerer Blick. »Ich habe kein Leben. Ich bin
tot.«
    »Dann erzähle mir von deinem früheren
Leben.«
    »Ich war ein Nadelschiff mit Namen Protreptik und
gehörte zum Dritten Voehn-Flossen-Geschwader der
Cessoria-Lustrale.
    Ich wurde im fünften Zehntel des dritten Jahres des Haralaud
in der Wirbelachse, Khubohl III, Bunsser Minor gebaut. Ich war ein
erweiterungsfähiges Schiff, Minimum fünfzehn Meter, wurde
nach dem Standard-Portalkompatibilitätsquotienten auf
achtundneunzig Prozent eingestuft und hatte unbeladen einen normalen
Betriebsdurchmesser von…«
    »Ich war eigentlich weniger an den technischen Angaben
interessiert«, sagte Fassin sanft.
    »Oh«, sagte der Alte und verschwand wie ein Hologramm,
das man abgeschaltet hatte.
    Fassin wandte sich dem Affen zu, der gerade etwas ins Licht hielt.
Das Tier kniff die Augen zusammen und schaute auf ihn herab.
»Was ist?«, fragte es.
    »Er ist verschwunden«, sagte Fassin. »Der alte Mann
– das Schiff – ist einfach verschwunden.«
    »Das macht er öfter«, seufzte der Affe.
     
    Beim nächsten Besuch erhob sich auf der anderen Seite des
breiten, behäbigen Flusses vor den Tempelstufen ein Dschungel;
eine mächtige grün-, gelb- und purpurfarbene Wand aus
seltsam knorrigen Strünken, schlaffen Blättern und
Schlingpflanzen. Ranken und Äste hingen so tief herab, dass sie
in die trägen Fluten eintauchten.
    Sonst war alles wie zuvor, nur war der alte Mann vielleicht nicht
ganz so hager, sein Gesicht nicht ganz so starr und seine Stimme
nicht ganz so müde.
    »Ich war ein KI-Jäger. Sechseinhalbtausend Jahre lang
half ich mit, die Anathematen aufzustöbern und zu vernichten.
Ich wäre stolz auf mich gewesen, wenn ich zu solchen
Gefühlen fähig gewesen wäre.«
    »Kam es dir nie unnatürlich vor, Maschinen zu jagen und
zu töten, die dir so ähnlich waren?«
    An dieser Stelle hustete der rotbraune Affe – er saß
wie

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