Kultur 08: Der Algebraist
eingelassenen Arbeitszimmer
gehängt, das eine so grandiose Aussicht über Junch City und
die Faraby-Bucht bis hinüber zu den schroffen, nebelverhangenen
Wänden der Force-Schlucht bot. Nun konnte der Archimandrit, so
oft ihm danach zumute war – und das kam ziemlich häufig vor
– den Kopf seines alten Feindes wie einen Punchingball
bearbeiten.
Lusiferus hatte langes, glattes, glänzend schwarzes Haar, und
sein von Natur aus blasser Teint war nach allen Regeln der Kunst so
verändert worden, dass die Haut nahezu rein weiß
leuchtete. Die Augen hatte man künstlich vergrößert,
war aber dabei so nahe am von Natur aus Möglichen geblieben,
dass niemand sicher sein konnte, ob tatsächlich eine
Manipulation vorlag. Das Weiße um die schwarze Iris leuchtete
tief rot, und sämtliche Zähne waren sorgfältig durch
lupenreine Diamanten ersetzt worden, so dass sein Mund je nach
Lichteinfall bizarr und zahnlos aussah wie bei einem Primitiven aus
dem Mittelalter oder ein wahres Feuerwerk versprühte.
Bei einem Straßenkünstler oder Schauspieler hätte
man solche physiologischen Kapriolen als komisch, vielleicht sogar
leicht verwegen empfunden. Bei einem Mann, der so viel Macht
besaß wie Lusiferus, wirkten sie dagegen tief beunruhigend, ja
erschreckend. Auch sein Name war zu gleichen Teilen geschmacklos und
grauenerregend. Er trug ihn nicht von Geburt an, sondern hatte ihn
selbst ausgewählt, weil er vom Klang her an eine von jeher
verachtete irdische Gottheit erinnerte, von der die meisten Menschen
– zumindest die meisten r-Menschen – irgendwann im
Geschichtsunterricht gehört hatten, auch wenn sie wahrscheinlich
nicht mehr genau sagen konnten, in welchem Zusammenhang.
Dank weiterer genetischer Manipulationen war der Archimandrit
schon seit langem hoch gewachsen und gut gebaut und verfügte
über beachtliche Kräfte in Armen und Schultern. Wenn er
also im Zorn zuschlug – und wenn er zuschlug, geschah es fast
immer im Zorn – war die Wirkung ungeheuer. Der
Rebellenführer, dessen Kopf jetzt von Lusiferus’ Decke
hing, hatte dem Archimandriten militärisch und politisch
große Schwierigkeiten bereitet, bevor er endlich besiegt worden
war, Schwierigkeiten, die bisweilen schon an Demütigungen
grenzten, und Lusiferus empfand noch immer einen abgrundtiefen Groll
gegen den Verräter. Dieser Groll schlug leicht und
zuverlässig in blinden Zorn um, sobald er in das Gesicht des
Mannes schaute, auch wenn es noch so blau geschlagen und blutig war
(die künstlich verstärkten Selbstheilungskräfte des
Kopfes arbeiteten schnell, aber nicht ohne gewisse
Verzögerungen). Und so prügelte der Archimandrit
wahrscheinlich immer noch mit der gleichen Begeisterung auf
Stinausins Kopf ein wie vor Jahren, als er ihn erstmals in diesem
Raum hatte aufhängen lassen.
Stinausin hatte diese Behandlung nur knapp einen Monat lang
ertragen, dann war er rettungslos dem Wahnsinn verfallen, und man
hatte ihm den Mund zugenäht, weil er nicht aufhörte, den
Archimandriten anzuspucken. Er konnte nicht einmal Selbstmord
begehen: dieser einfache Ausweg wurde ihm durch Sensoren,
Schläuche, Mikropumpen und Bioschaltkreise versperrt. Auch ohne
diese externen Einschränkungen hätte er nicht die
Möglichkeit gehabt, Lusiferus Beschimpfungen
entgegenzuschleudern oder seine eigene Zunge zu verschlucken, denn
die hatte man ihm ausgerissen, als man ihm den Kopf abschlug.
Obwohl Stinausin inzwischen ganz und gar den Verstand verloren
hatte, pflegte er zu weinen, wenn ihm nach einer besonders intensiven
Trainingsstunde mit dem Archimandriten das Blut von den aufgeplatzten
Lippen, aus der mehrfach gebrochenen Nase und aus den verschwollenen
Augen und Ohren quoll. Das bereitete Lusiferus eine besondere
Genugtuung, und manchmal stand er schwer atmend da, wischte sich mit
einem Handtuch den Schweiß ab und sah zu, wie sich die
Tränen mit dem Blut vermischten, das von dem umgedrehten,
körperlosen Kopf in das große Keramikduschbecken tropfte,
das in den Boden eingelassen war.
Seit kurzem hatte der Archimandrit jedoch ein neues Spielzeug und
suchte deshalb hin und wieder einen Raum mehrere Stockwerke unter
seinem Arbeitszimmer auf. Dort wurde ein namenloser Attentäter
gefangen gehalten, der langsam an seinen eigenen Zähnen zugrunde
ging. Der Attentäter, ein großer, kräftiger Mensch
mit einem Löwengesicht, war ohne Waffen losgeschickt worden, nur
mit besonders geschärften Zähnen. Sein unbekannter
Auftraggeber hatte wohl gehofft, er würde damit
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