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Kunst des klaren Denkens

Kunst des klaren Denkens

Titel: Kunst des klaren Denkens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Dobelli
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auf 10   %, dann auf 5   %. Das Ergebnis: Noch immer kein Unterschied! Als die Forscher jedoch die Stärke des erwarteten Stromstoßes erhöhten, erhöhte sich die körperliche Erregung bei beiden Gruppen. Doch nie gab es einen Unterschied zwischen den beiden Gruppen. Das bedeutet: Wir reagieren wohl auf das zu erwartende Ausmaß eines Ereignisses (Größe des Jackpots beziehungsweise Stärke der elektrischen Spannung), aber nicht auf dessen Wahrscheinlichkeit. Anders ausgedrückt: Uns fehlt ein intuitives Verständnis für Wahrscheinlichkeiten.
    Man spricht von Neglect of Probability (Vernachlässigung der Wahrscheinlichkeit) – sie führt zu Entscheidungsfehlern. Wir investieren in ein Start-up, weil uns mit dem möglichen Gewinn der Mund wässrig gemacht wird, aber vergessen darüber (oder sind zu faul), die Wahrscheinlichkeit zu eruieren, mit der Jungunternehmen überhaupt je einen solchen Gewinn realisieren. Oder: Nach einer medienpräsenten Flugzeugkatastrophe lassen wir unsere gebuchten Flüge verfallen, ohne die winzige Wahrscheinlichkeit von Flugzeugabstürzen wirklich in Betracht zu ziehen (die im Übrigen nach einer Katastrophe genau gleich groß oder klein ist wie davor).
    Viele Hobbyinvestoren vergleichen ihre Investments nur anhand der Rendite. Für sie ist eine Google-Aktie mit einer Rendite von 20   % doppelt so gut wie eine Liegenschaft mit einer Rendite von 10   %. Vernünftiger wäre esnatürlich, die unterschiedlichen Risiken dieser beiden Investments zu berücksichtigen. Aber eben, wir haben kein natürliches Gefühl für Risiken, darum vergessen wir sie oft.
    Zurück zum Laborexperiment mit den elektrischen Schocks. Die Wahrscheinlichkeit eines Stromstoßes bei Gruppe B wurde weiter reduziert: von 5   % auf 4   % auf 3   %. Erst bei der Wahrscheinlichkeit von 0   % reagierte Gruppe B anders als Gruppe A. Das Risiko von 0   % scheint also unheimlich viel besser zu sein als das von 1   %.
    Beurteilen Sie die beiden Maßnahmen zur Trinkwasseraufbereitung. Bei Maßnahme A wird das Risiko, an verunreinigtem Wasser zu sterben, von 5   % auf 2   % gesenkt. Mit Maßnahme B lässt sich das Risiko von 1   % auf null senken, also komplett eliminieren. A oder B? Wenn Sie so ticken wie die meisten Menschen, werden Sie Maßnahme B den Vorzug geben – was idiotisch ist, denn mit Maßnahme A werden 3   % weniger Menschen sterben, mit B hingegen nur 1   %. Maßnahme A ist dreimal so gut! Dieser Denkfehler wird Zero-Risk Bias genannt (deutsch: Null-Risiko-Fehler). Wir werden ihn im nächsten Kapitel genauer diskutieren.
    Fazit: Wir unterscheiden nur schlecht zwischen verschiedenen Risiken, außer, das Risiko sei null. Weil wir Risiken nicht intuitiv erfassen, müssen wir rechnen. Wo die Wahrscheinlichkeiten bekannt sind – wie im Lotto –, ist das einfach. Im normalen Leben jedoch sind Risiken schwierig zu schätzen – und doch führt kein Weg daran vorbei.

THE ZERO-RISK BIAS
    Warum Sie für das Nullrisiko zuviel bezahlen

    Angenommen, Sie müssen Russisch Roulette spielen. Die Trommel Ihres Revolvers hat Platz für sechs Patronen. Sie drehen die Trommel wie ein Glücksrad, halten den Revolver an Ihre Stirn und ziehen den Abzug. Erste Frage: Wenn Sie wissen, dass sich vier Patronen in der Trommel befinden – wie viel wären Sie bereit zu bezahlen, um zwei der vier Patronen aus der Trommel zu entfernen? Zweite Frage: Wenn Sie wissen, dass der Revolver nur eine einzige Patrone enthält – wie viel Geld wäre es Ihnen wert, um diese eine Patrone entfernen zu dürfen?
    Für die meisten Leute ist der Fall klar: Sie sind bereit, im zweiten Fall mehr zu bezahlen, weil damit das Todesrisiko auf null sinkt. Rein rechnerisch macht das keinen Sinn, denn im ersten Fall reduzieren Sie die Sterbenswahrscheinlichkeit um zwei Sechstel, im zweiten Fall um nur ein Sechstel. Der erste Fall sollte Ihnen also doppelt so viel wert sein. Doch irgendetwas treibt uns dazu, das Nullrisiko übermäßig zu bewerten.
    Wir haben im letzten Kapitel gesehen, dass Menschen nur schlecht zwischen verschiedenen Risiken unterscheiden können. Je gravierender die Gefahr, je emotionaler das Thema (Beispiel: Radioaktivität) ist, desto weniger beruhigt uns die Reduktion des Risikos. Zwei Forscher an der Universität von Chicago haben gezeigt, dass Menschen eine Verschmutzung durch toxische Chemikalien genau gleich fürchten, egal ob das Risiko 99   % oder 1   % beträgt. Eine irrationale Reaktion, aber eine übliche. Offenbar

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