Kunst des klaren Denkens
ist uns nur das Nullrisiko heilig. Es zieht uns an wie das Licht die Mücken, und wir sind oft bereit, übermäßig viel Geld zu investieren, um ein winziges Restrisiko komplett aus der Welt zu räumen. In fast allen Fällen hätte man dieses Geld besser investiert, um eine viel größere Reduktion eines anderen Risikos zu erzielen. Diesen Entscheidungsfehler nennt man den Zero-Risk Bias (deutsch: Null-Risiko-Fehler).
Das klassische Beispiel dieses Entscheidungsfehlers ist das amerikanische Lebensmittelgesetz von 1958. Es verbietet Lebensmittel, die krebserregende Substanzen enthalten. Dieses Totalverbot (Nullrisiko) klingt erst mal gut, führte aber dazu, dass nicht krebserregende, aber gefährlichere Lebensmittelzusätze verwendet wurden. Unsinnig ist es auch, weil wir seit Paracelsus, also seit dem 16. Jahrhundert wissen, dass Gift immer eine Frage der Dosierung ist. Und schließlich ist das Gesetz sowieso nicht durchzusetzen, weil man nicht das hinterste und letzte »verbotene« Molekül aus einem Lebensmittel entfernen kann. Jeder Bauernhof würde einer Computerchipfabrik gleichen, und der Preis für Lebensmittel dieses Reinheitsgrades würde sich verhundertfachen. Gesamtwirtschaftlich betrachtet machen Nullrisiken selten Sinn. Außer, wenn die Konsequenzen riesig sind (zum Beispiel falls gefährliche Viren aus Labors austreten würden).
Im Straßenverkehr ist das Nullrisiko nur zu erreichen, wenn wir das Geschwindigkeitslimit auf null Kilometer pro Stunde reduzieren. Hier nehmen wir – vernünftigerweise – eine statistisch klar bestimmbare Anzahl Tote pro Jahr in Kauf.
Angenommen, Sie sind Staatschef und wollen das Risiko eines Terroranschlags ausschalten. Sie müssten jedem einzelnen Bürger einen Spitzel zuteilen – und je einen Spitzel für jeden Spitzel. Im Nu wären 90 % der Bevölkerung Überwacher. Wir wissen, dass solche Gesellschaften nicht überlebensfähig sind.
Und an der Börse? Gibt es das Nullrisiko, also die totale Sicherheit? Leider nein, selbst wenn Sie Ihre Aktien verkaufen und das Geld auf einem Konto parken. Die Bank könnte pleitegehen, die Inflation frisst Ihre Ersparnisse weg, oder eine Währungsreform vernichtet Ihr Vermögen. Vergessen wir nicht, dass Deutschland im letzten Jahrhundert zweimal eine neue Währung eingeführt hat.
Fazit: Verabschieden Sie sich von der Vorstellung des Nullrisikos. Lernen Sie damit zu leben, dass nichts sicher ist – weder Ihre Ersparnisse, Ihre Gesundheit, Ihre Ehe, Ihre Freundschaften, Ihre Feindschaften noch Ihr Land. Und trösten Sie sich damit, dass es doch etwas gibt, was ziemlich stabil ist: die eigene Glückseligkeit. Forschungen haben gezeigt, dass weder der Millionen-Lottogewinn noch eine Querschnittslähmung Ihre Zufriedenheit langfristig verändern. Glückliche Menschen bleiben glücklich, egal was ihnen geschieht, unglückliche unglücklich. Mehr dazu im Kapitel Hedonic Treadmill .
DER KNAPPHEITSIRRTUM
Warum knappe Kekse besser schmecken
Kaffee bei einer Freundin. Ihre drei Kinder tollten auf dem Fußboden herum, während wir versuchten, Konversation zu machen. Dann erinnerte ich mich, dass ich Glasmurmeln mitgebracht hatte – eine ganze Tüte voll. Ich schüttete sie auf dem Fußboden aus, in der Hoffnung, die Rabauken würden damit in Ruhe spielen. Weit gefehlt: Sofort entbrannte ein heftiger Streit. Ich begriff nicht, was los war, bis ich genauer hinsah. Offenbar gab es unter den unzähligen Murmeln genau eine blaue, und die Kinder rissen sich um sie. Alle Murmeln waren genau gleich groß, schön und leuchtend. Doch die blaue hatte einen entscheidenden Vorteil – sie war rar. Ich lachte: Wie kindisch Kinder doch sind! Als ich im August 2005 hörte, dass Google einen eigenen E-Mail-Service lancieren würde, der »sehr selektiv« und nur »auf Einladung« herausgegeben würde, war ich ganz versessen darauf, ein Log-in zu erhalten – was mir schließlich gelang. Warum nur? Sicher nicht, weil ich ein zusätzliches E-Mail-Konto brauchte (ich hatte zu dieser Zeit schon vier), auch nicht, weil Gmail besser war als die Konkurrenzprodukte, sondern einfach, weil nicht alle Zugriff darauf hatten. Rückblickend muss ich lachen: Wie kindisch Erwachsene doch sind!
»Rara sunt cara«, sagten die Römer, Seltenes ist wertvoll. Tatsächlich ist der Knappheitsirrtum so alt wie die Menschheit. Die Freundin mit den drei Kindern ist im Nebenberuf Immobilienmaklerin. Wann immer sie einen Interessenten an der Angel hat, der sich nicht
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