Kunst des klaren Denkens
schnell die Verdopplungszeit: 70 : 5 = 14 Jahre. In 14 Jahren wird ein Euro nur noch die Hälfte wert sein – ein Skandal für alle, die ein Sparkonto besitzen.
Angenommen, Sie sind Journalist und bekommen eine Statistik zugespielt, wonach die Anzahl der registrierten Hunde in Ihrer Stadt um 10 % pro Jahr wächst. Welche Schlagzeile setzen Sie über Ihren Artikel? Sicher nicht »Hundezulassungen um 10 % gestiegen«. Das interessiert niemanden. Sondern: »Hundeschwemme: Doppelt so viele Köter in nur sieben Jahren!«
Nichts, was prozentual wächst, wächst ewig – auch das vergessen die meisten Politiker, Ökonomen und Journalisten. Jedes exponentielle Wachstum kommt irgendwannan eine Grenze – garantiert. Das Darmbakterium Escherichia Coli teilt sich alle 20 Minuten. In wenigen Tagen hätte es die ganze Erde überzogen. Doch es wird mehr Sauerstoff und Zucker verbrauchen, als neuer zugeführt wird, was die Population bald in ihrem Wachstum bremsen würde.
Dass unser Hirn Mühe mit prozentualem Wachstum hat, war schon im alten Persien bekannt. Von dort stammt dieses Märchen: Es war einmal ein kluger Höfling, der seinem König ein Schachbrett schenkte. Der König fragte ihn: »Sage mir, wie ich dich zum Dank belohnen kann.« »Nichts weiter will ich, edler Gebieter, als dass Ihr das Schachbrett mit Reis auffüllen möget. Legt ein Reiskorn auf das erste Feld, und dann auf jedes weitere Feld stets die doppelte Anzahl an Körnern. Also zwei Reiskörner auf das zweite Feld, vier Reiskörner auf das dritte und so fort.« Der König war erstaunt: »Es ehrt dich, lieber Höfling, dass du einen so bescheidenen Wunsch äußerst.« Wie viel Reis ist das? Der König dachte wohl an ein Säckchen. In Wahrheit hätte er mehr Reis gebraucht, als auf der Erde wächst.
Fazit: Wenn es um Wachstumsraten geht, vertrauen Sie nicht auf Ihr Gefühl. Sie haben keines – akzeptieren Sie das. Was Ihnen wirklich hilft, ist der Taschenrechner, oder, bei kleinen Wachstumsraten, der Trick mit der Verdopplungszeit.
THE WINNER’S CURSE
Wie viel würden Sie für einen Euro bezahlen?
Texas, in den 50er-Jahren. Ein Stück Land wird versteigert. Zehn Ölfirmen bieten mit. Jede hat ihre eigene Schätzung gemacht, wie viel Öl das Grundstück enthält. Die tiefste Schätzung liegt bei zehn Millionen Dollar, die höchste bei 100 Millionen Dollar. Je höher der Preis während der Auktion klettert, desto mehr Firmen verabschieden sich aus dem Bieterwettkampf. Schließlich bekommt die Firma mit dem höchsten Angebot den Zuschlag. Sie ist übrig geblieben, hat gewonnen. Champagnerkorken knallen.
The Winner’s Curse (deutsch: der Fluch des Gewinners) besagt: Der Gewinner einer Auktion ist meistens der eigentliche Verlierer. Industrieanalysten stellten fest, dass die Firmen, die regelmäßig als Gewinner aus den Ölfeldauktionen hervorgingen, systematisch zu viel bezahlten und Jahre später daran zugrunde gingen. Das ist nachvollziehbar. Wenn die Schätzungen zwischen zehn und 100 Millionen variieren, wird der wirkliche Wert wahrscheinlich irgendwo dazwischen liegen. Das höchste Angebot ist bei Auktionen oft systematisch zu hoch – es sei denn, dieser Bieter hätte einen Informationsvorsprung. Das war damals in Texas nicht der Fall. Die Ölmanager feierten in Wahrheit einen Pyrrhussieg.
Wo sind die Ölfelder heute? Überall. Von eBay über Groupon bis hin zu Google AdWords – durchweg werden Preise über Auktionen festgesetzt. Es gibt Bieterwettkämpfe um Mobilfunkfrequenzen, die Telekomfirmen an den Rand des Ruins bringen. Flughäfen vermieten ihre Ladenflächen im Auktionsverfahren. Und wenn Aldi ein neues Waschmittel einführen will und Offerten von fünf Lieferanten einfordert, ist das nichts anderes als eine Auktion – mit der Gefahr des Winner’s Curse .
Die »Auktionierung des Alltags« hat dank Internet mittlerweile auch die Handwerker erreicht. Meine Wohnung brauchte einen neuen Anstrich. Statt den nächstbesten Maler in Luzern anzurufen, stellte ich den Job ins Internet, wo sich 30 Anbieter aus der ganzen Schweiz und Deutschland um den Auftrag stritten. Das beste Angebot war so tief, dass ich es aus Erbarmen nicht annahm – um dem armen Maler den Winner’s Curse zu ersparen.
Auch Börsengänge sind Auktionen, bei denen überrissene Preise bezahlt werden. Und wenn Firmen andere Firmen kaufen – sogenannte Mergers & Acquisitions – ist vielfach der Winner’s Curse im Spiel. Mehr als die Hälfte aller Firmenkäufe
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