Kunst des klaren Denkens
Komposition, das Erschaffen von Stimmungen, wo vorher nur ein weißes Blatt war. Der Unterschied von einer Partitur zur andern ist tausendmal eindrücklicher als der Unterschied von einer Interpretation zur andern. Aber so ticken wir nicht. Die Partitur hat – im Gegensatz zum Dirigenten und/oder Solisten – kein Gesicht.
Als Schriftsteller erlebe ich den Attributionsfehler so: Nach einer Lesung (an sich schon ein zweifelhaftes Unterfangen) lautet die erste Frage immer, wirklich immer: »Was an Ihrem Roman ist autobiografisch?« Am liebsten würde ich in die Runde schreien: »Es geht doch nicht um mich, es geht um das Buch, um den Text, um die Sprache, um die Glaubwürdigkeit der Geschichte, verdammt noch mal!« Leider erlaubt mir meine Erziehung einen solchen Ausbruch nur selten.
Außerdem muss man für den Attributionsfehler Verständnis haben: Die irrsinnige Beschäftigung mit anderen Menschen stammt aus unserer evolutionären Vergangenheit. Die Zugehörigkeit zu einer Gruppe war überlebensnotwendig. Ausgestoßen zu werden, bedeutete den sicheren Tod. Fortpflanzung, Verteidigung und der größte Teil der Jagd waren für einen Einzelnen unmöglich. Wir brauchten die andern dazu. Einzelgängerische Irrläufer – und von denen gab es sicher welche – sind aus dem Genpool verschwunden. Darum sind wir so übertrieben auf Leute fixiert. Darum denken wir etwa zu 90 % unserer Zeit an Leute und verwenden nur 10 % auf situative Zusammenhänge.
Fazit: So sehr uns das Schauspiel des Lebens fasziniert, die Menschen auf der Bühne sind keine vollendeten, selbstbestimmten Persönlichkeiten, sondern taumeln von Situation zu Situation. Wenn Sie das Stück, das gerade gespielt wird, wirklich verstehen wollen, dann achten Sie nicht auf die Darsteller. Achten Sie vielmehr auf den Tanz der Einflüsse, dem die Schauspieler unterworfen sind.
DIE FALSCHE KAUSALITÄT
Warum Sie nicht an den Storch glauben sollten
Für die Bewohner der Hebriden, einer Inselkette im Norden Schottlands, gehörten Läuse im Haar zum Leben. Verließen die Läuse ihren Wirt, wurde er krank und bekam Fieber. Um das Fieber zu vertreiben, wurden kranken Menschen deshalb absichtlich Läuse ins Haar gesetzt. Der Erfolg gab den Hebridianern augenscheinlich recht: Sobald die Läuse sich wieder eingenistet hatten, ging es dem Patienten besser.
Eine Untersuchung der Feuerwehreinsätze in einer Stadt ergab, dass der Brandschaden mit der Anzahl der jeweils eingesetzten Feuerwehrleute korrelierte: Je mehr Feuerwehrleute im Einsatz standen, desto größer der Brandschaden. Der Bürgermeister verhängte sofort einen Einstellungsstopp und kürzte den Etat.
Beide Geschichten sind aus dem Buch Der Hund, der Eier legt , und sie zeigen die Verwechslung von Ursache und Wirkung. Die Läuse verlassen den Kranken, weil er Fieber hat – sie bekommen ganz einfach heiße Füße. Wenn das Fieber abgeklungen ist, kommen sie gerne wieder. Und je größer der Brand, desto mehr Feuerwehrleute werden eingesetzt – selbstverständlich nicht umgekehrt.
Wir mögen über diese Geschichten schmunzeln, doch die falsche Kausalität führt uns fast täglich in die Irre. Nehmen wir die Schlagzeile: »Gute Mitarbeitermotivation führt zu höherem Unternehmensgewinn.« Tatsächlich? Oder sind die Mitarbeiter vielleicht motivierter, weil es der Firma so gut geht? Wirtschaftsbuchautoren und Berater operieren oft mit falschen – oder zumindest ungesicherten – Kausalitäten .
Es gab in den 90er-Jahren niemand, der heiliger war als der damalige Chef der US-Notenbank, Alan Greenspan. Seine obskuren Äußerungen verliehen der Geldpolitik den Nimbus einer Geheimwissenschaft, die das Land auf dem sicheren Pfad der Prosperität hielt. Politiker, Journalisten und Wirtschaftsführer vergötterten Greenspan. Heute wissen wir, dass die Kommentatoren einer falschen Kausalität zum Opfer gefallen waren. Amerikas Symbiose mit China – dem globalen Billigproduzenten und Gläubiger der amerikanischen Schulden – spielte eine viel wichtigere Rolle. Überspitzt ausgedrückt: Greenspan hatte einfach Glück, dass die Wirtschaft zu seiner Zeit so gut funktionierte.
Ein weiteres Beispiel: Wissenschaftler haben festgestellt, dass lange Verweilzeiten im Krankenhaus für den Patienten nachteilig sind. Eine gute Nachricht für alle Krankenkassen, denen es daran gelegen ist, die Aufenthaltsdauer ihrer Versicherten möglichst kurz zu halten. Aber natürlich sind Patienten, die gleich wieder entlassen
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