Kunst des klaren Denkens
vernichten Wert, was nichts anderes bedeutet, als dass sich ihr Kauf nicht im Geringsten gelohnt hat.
Warum fallen wir dem Winner’s Curse zum Opfer? Zum einen, weil der wirkliche Wert eines Gutes unbestimmt ist. Je mehr Parteien, desto höher die Wahrscheinlichkeit einer überoptimistischen Offerte. Zum anderen, weil wir Konkurrenten ausstechen wollen. Ein Freund besitzt eine Fabrik für Mikroantennen. Er hat mir vom ruinösen Bieterwettkampf erzählt, den Apple für das iPhone veranstaltet. Jeder will der »offizielle Lieferant« von Apple sein – und wer auch immer den Zuschlag erhält, wird garantiert Geld verlieren.
Wie viel würden Sie für 100 Euro bezahlen? Stellen Sie sich vor, Sie und Ihr Konkurrent seien zu einer solchen Auktion eingeladen. Die Spielregeln: Wer das höchste Angebot abgibt, erhält die Hunderternote; und – das ist wichtig – beide Bieter müssen in diesem Moment ihr letztes Angebot bezahlen. Wie hoch werden Sie gehen? Aus Ihrer Sicht macht es Sinn, 20, 30 oder 40 Euro für die Hunderternote zu bezahlen. Ihr Konkurrent sieht das natürlich genauso. Selbst 99 Euro ist ein sinnvolles Angebot. Nun bietet Ihr Konkurrent 100 Euro. Wenn dies das höchste Angebot bliebe, käme er mit einem Nullgewinn heraus (100 Euro für 100 Euro), doch Sie müssten die 99 Euro (Ihr letztes Angebot) bezahlen – ohne Gegenwert. Also werden Sie weiter bieten. Bei 110 haben Sie einen garantierten Verlust von zehn Euro, doch Ihr Konkurrent verliert 110. Also wird auch er weiter bieten. Wo hören Sie auf? Wo hört Ihr Konkurrent auf? Spielen Sie es mal durch mit Freunden.
Beherzigen Sie den Tipp von Warren Buffett: »Nehmen Sie niemals an Auktionen teil.« Geht nicht, Sie arbeiten in einer Branche, in der Auktionen unumgänglich sind? Dann legen Sie einen Höchstpreis fest und ziehen davon 20 % für den Winner’s-Curse -Effekt ab. Schreiben Sie diese Zahl auf ein Blatt Papier und halten Sie sich eisern daran.
DER FUNDAMENTALE ATTRIBUTIONSFEHLER
Fragen Sie nie einen Schriftsteller, ob der Roman autobiografisch sei
Sie schlagen die Zeitung auf und lesen, dass irgendein CEO wegen schlechten Geschäftsgangs den Hut nehmen musste. Im Sportteil erfahren Sie, dass Ihre Lieblingsmannschaft wegen des Spielers X oder des Trainers Y Meister geworden ist. »Keine Geschichte ohne Gesicht« lautet eine Regel in den Zeitungsredaktionen. Die Journalisten (und ihre Leser) machen sich des fundamentalen Attributionsfehlers schuldig. Er bezeichnet die Tendenz, den Einfluss von Personen systematisch zu überschätzen und äußere, situative Faktoren zu unterschätzen, wenn es darum geht, irgendetwas zu erklären.
Forscher der Duke University führten 1967 folgendes Experiment durch. Ein Redner hielt eine flammende Rede für Fidel Castro. Die Versuchspersonen wurden informiert, dass dem Redner die Rede unabhängig von seiner politischen Ansicht zugeteilt worden war, er verlas nur einen ihm vorgelegten Text. Trotzdem waren die meisten Zuhörer der Ansicht, die Rede spiegle die Meinung des Redners wider. Sie machten seine Persönlichkeit für den Inhalt der Rede verantwortlich, und nicht externe Faktoren, also die Professoren, die sie ihm in den Mund gelegt hatten.
Der Attributionsfehler kommt besonders bei negativen Ereignissen zum Tragen. Die »Schuld« an Kriegen schieben wir Personen in die Schuhe – Hitler hat den Zweiten Weltkrieg auf dem Gewissen, der Attentäter von Sarajewo den Ersten. Und das, obwohl Kriege unprognostizierbare Ereignisse sind, deren Dynamik wir bis heute nicht verstehen – was Kriege mit Finanzmärkten und Klimafragen verbindet.
Die Ursache für den guten oder schlechten Geschäftsgang suchen wir also zuerst beim Chef des Unternehmens. Selbst wenn wir eigentlich wissen müssten, dass ökonomischer Erfolg weit stärker von der allgemeinen Wirtschaftslage und der Attraktivität der Branche abhängt als von führungstechnischer Brillanz. Es ist interessant, wie häufig CEOs in einer kriselnden Branche ausgewechselt werden – und wie selten das in einer Boombranche passiert. Die Entscheidungen sind kein bisschen rationaler als bei Fußballtrainern und ihren Klubs.
Ich gehe oft in Konzerte; als Luzerner bin ich vom einzigartigen Klassikangebot in dieser Stadt verwöhnt. Die Gespräche in der Pause kreisen fast immer um den Dirigenten und/oder den Solisten. Mit Ausnahme von Uraufführungen wird kaum je über die Komposition gesprochen. Warum denn nicht? Das eigentliche Wunder der Musik ist doch die
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