Pretty Little Liars - Mörderisch: Band 6
WENN MICH DIE ERINNERUNG NICHT TRÜGT …
Stell dir mal vor, du könntest dich an jede einzelne Sekunde deines bisherigen Lebens erinnern. Nicht nur an die wichtigen Ereignisse, die jeder noch im Kopf hat, sondern auch an allerkleinste Details. Daran, dass du dich mit deiner besten Freundin im Kunstunterricht der dritten Klasse verbündet hast, weil ihr beide den Geruch des Fotoklebers nicht ausstehen konntet. Oder dass du den Jungen, in den du in der achten Klasse verknallt warst, zum ersten Mal gesehen hast, als er durch den Schulhof lief, mit der einen Hand einen Fußball hochwarf und mit der anderen seinen iPod Touch bediente.
Aber jeder Segen ist gleichzeitig auch ein Fluch. Mit deinem brandneuen Supergedächtnis müsstest du dich auch an jeden Streit mit deiner besten Freundin erinnern. Und wieder und wieder durchleben, wie oft dein Fußball liebender Schwarm beim Mittagessen neben einer anderen gesessen hat. Mit einem hundertprozentigen Gedächtnis könnte die Vergangenheit auf einmal ziemlich hässliche Züge annehmen. Gibt es jemanden, mit dem du heute verbündet bist? Schau noch mal genau hin – womöglich war sie ja nicht immer so nett zu dir. Hast du eine Freundin, die deiner Erinnerung nach immer zu dir gehalten hat? Ups! Genauer betrachtet wohl doch nicht.
Hätten vier hübsche Mädchen aus Rosewood plötzlich das
perfekte Gedächtnis, wüssten sie bestimmt besser, wem sie vertrauen könnten und von wem sie sich besser fernhalten sollten. Es könnte aber auch sein, dass ihre Vergangenheit auf einmal noch weniger Sinn ergäbe als bisher.
Auf das Gedächtnis ist nicht immer Verlass. Und manchmal sind wir dazu verdammt, die Fehler zu wiederholen, die wir vergessen haben.
Da stand es. Das große Haus im viktorianischen Stil am Ende der Sackgasse. Um den Zaun rankten sich Rosen, hinten war eine über zwei Ebenen gehende Teak-Terrasse angebaut. Nur ein paar wenige Auserwählte waren jemals drinnen gewesen, aber alle wussten, wer hier wohnte. Das beliebteste Mädchen der Schule. Sie setzte Trends, wurde leidenschaftlich verehrt und konnte mit einem Fingerschnippen Reputationen veredeln oder zerstören. Alle Jungs wollten mit ihr ausgehen, alle Mädchen träumten davon, so zu werden wie sie.
Alison DiLaurentis, natürlich.
In Rosewood, Pennsylvania, einer idyllischen Kleinstadt zwanzig Kilometer von Philadelphia entfernt, war es ein friedlicher Samstagmorgen Anfang September. Mr Cavanaugh, der Alisons Familie gegenüber wohnte, schlenderte in seinen Vorgarten und holte sich die Zeitung. Ein Spaziergänger führte seinen Hund aus, der am Zaun hochsprang und Eichhörnchen anbellte. Jede Blume und jedes Blatt befand sich an seinem Platz … die Ordnung wurde nur durch die vier Mädchen gestört, die zufällig alle zur gleichen Zeit in den Hintergarten der DiLaurentis geschlichen kamen.
Emily Fields versteckte sich zwischen den hohen Tomatenpflanzen und zerrte nervös an den Bändeln ihres Rosewood-Schwimmverein-Sweatshirts.
Sie betrat zum ersten Mal unerlaubt ein fremdes Grundstück, und nun auch noch das des hübschesten, beliebtesten Mädchens der Schule. Aria Montgomery verbarg sich hinter einer Eiche und zupfte an der Stickerei auf ihrer Tunika, die ihr Vater ihr von einer seiner unzähligen Kunstgeschichte-Tagungen in Deutschland mitgebracht hatte. Hanna Marin ließ ihr Fahrrad bei einem Steinblock in der Nähe des Geräteschuppens liegen und überlegte sich einen Angriffsplan. Spencer Hastings kroch von ihrem angrenzenden Grundstück herüber, kauerte sich hinter einen sorgfältig gestutzten Himbeerstrauch und atmete tief den süßlich-herben Duft der Beeren ein.
Stumm starrten die vier Mädchen durch das hintere Panoramafenster der DiLaurentis ins Haus. In der Küche bewegten sich Schatten. Aus dem oberen Badezimmer ertönte ein lauter Ruf. Ein Ast zerbrach. Jemand hustete.
Die Mädchen merkten gleichzeitig, dass sie nicht allein waren. Spencer sah Emily am Waldrand herumstolpern. Emily erspähte Hanna, die neben dem Steinblock kauerte. Hanna entdeckte Aria hinter dem Baum. Alle marschierten los, trafen sich in der Mitte von Alis Hintergarten und bildeten einen kleinen Kreis.
»Was macht ihr denn hier?«, fragte Spencer herausfordernd. Sie kannte Emily, Hanna und Aria seit dem Lesewettbewerb für die erste Klasse, den die Bücherei von Rosewood immer veranstaltete. Spencer hatte gewonnen, aber die anderen hatten auch mitgemacht. Die Mädchen waren nicht befreundet. Emily gehörte zu den
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