Kurt Ostbahn - Blutrausch
hin.
„Es sind immer die Frauen“, sagt Skocik und biegt, kurz nachdem wir die traurigen Überreste des Hoffmann-Sanatoriums passiert haben, nach rechts ab.
Für Donna würde ich keine solche Strapaz auf mich nehmen, Elfi hockt im Schneidersitz daheim in ihrem Kiva und träumt von Pandas und der Stofftier-Version ihres Gily, und Marlene streichelt und krault in Paris oder Quebec das zerknirschte Ego ihres Gilbert.
„Schwachsinn, Skocik“, sage ich.
Er lacht und zuckt die Schultern. Ein Vollidiot. Ich werd ihm das auch sagen. Später.
„Es gibt eben Leut, Herr Doktor, die wollen alles ganz genau wissen“, meldet sich Brunner von hinten.
Will ich das? Der Akt über den vermeintlichen Jagdunfall des Dr. Stifter anno 1975 war mir eigentlich aufschlußreich genug.
„Nicht ganz genau“, sage ich zu Brunner, „Ziemlich reicht.“
39
Brunner klopft noch einmal aufmunternd gegen die regennasse Scheibe, dann verschwindet er mit Skocik in der Nacht. Und ich begehe in seinem Auftrag die erste Verkehrssünde meines Lebens, indem ich mich hinters Steuer des Passat klemme und das Dienstfahrzeug der Exekutive ohne Führerschein die hundertfünfzig Meter zum Haus des Dichters kutschiere.
Hinter der nächsten Wegbiegung geht es ein Stück steil bergauf, vorbei an den Häusern Rodensteinweg Nr. 26 und 27. Die sind nicht winterfest und daher jetzt im November unbewohnt. Und das letzte Haus vor dem Wald, das muß es dann sein. Rodenstein.
Unten im Ort hatte uns einer von Brunners Spähern kurz angehalten, über die geografischen Gegebenheiten informiert und gemeint, daß sich im Haus des Dichters nichts Außergewöhnliches tut. Ein weißer Citröen parkt vor der Haustür. Drinnen brennt Licht. Also ist er daheim. Und wartet. Das Gebäude ist umstellt. Der Spezialeinheit ist es gelungen, unbemerkt in den Garten vorzudringen, und weitere Fachleute arbeiten am lautlosen Knacken der Hintertür. Alles im Griff und unter Kontrolle.
Ich bringe ausgerechnet in der letzten Kurve Gas und Kupplung durcheinander. Ein Koordinationproblem von linkem und rechtem Fuß, das mich als Schlagzeuger disqualifizieren würde. Aber ich hab weder zum Trommeln noch zum Autofahren besondere Ambitionen. Nie gehabt. Das eine grenzt an körperliche Arbeit, und das andere stellt 90 Prozent der Führerscheinbesitzer dieses Landes tagtäglich vor unlösbare geistige Aufgaben. Warum sollte es mir anders gehen?
Im Vorderteil des Fahrzeugs, unter der Kühlerhaube, dort wo Herz und Motor wohnen, heult was auf. Der Wagen macht einen Satz nach vom wie ein scheuendes Pferd.
„Cool bleiben, Kurtl“, sagt Donna, „sonst trifft mich gleich der Schlag.“
Donna sitzt jetzt neben mir und klappert immer noch mit den Zähnen, obwohl die Heizung im Wagen auf Hochtouren läuft.
Die Scheinwerfer huschen über einen schwarzen Kasten. Die nicht winterfeste Nummer 27.
Dann taucht aus stockfinsterer Nacht Rodenstein vor uns auf, und der Anblick hat was Erhabenes. Stellen Sie sich Prinz Eisenherz vor, wie er aus dem schwärzesten aller Mischwälder Englands geritten kommt und in der Feme die Residenz von König Arthur erblickt, Schloß Camelot, mächtig groß und in einem magischen Licht erstrahlend, komplett mit Merlins Zaubergarten und der Tafelrunde für Ivanhoe, Ritter Gawain und all die andern edlen Burschen in ihrer Blechmontur.
Der Dichter hat in seiner frühen Jugend garantiert viel Prinz Eisenherz gelesen oder sich zumindest, so wie ich, die vielen schönen Bilder angeschaut. Und mit ein bißl Phantasie gibt sogar Purkersdorf einen passablen Schauplatz für ein geschwollenes Heldenepos ab. An eine gachblonde prallbusige Rachegöttin kann ich mich bei Prinz Eisenherz zwar nicht erinnern, aber ich habe meine Studien des höfischen Lebens auf Schloß Camelot ja auch bereits gut eineinhalb Jahrzehnte vor dem Dichter abgeschlossen. Und bekanntlich nagt der Zahn der Zeit ganz besonders erbarmungslos tiefe Gedächtnislücken ins alternde Gehirn, wenn es um die Erinnerung an weibliche Anmut und Schönheit geht.
„Haben die Kieberer das Flutlicht eingeschaltet, damit wir nicht stolpern?“ fragt sich Donna. Und holt mich mit einem schrillen, unlustigen Lacher zurück auf den Boden.
Aber es sind nicht Brunners Mannen, die ihre Sorge um uns auf so augenfällige Art und Weise demonstrieren. Im Zuhause des Dichters sind bloß alle Lichter an.
Und Rodenstein ist keine Burg, keine Festung und auch kein Schloß, sondern eine Art Försterhaus, das nach ein paar
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