Kurzer Abriss meines Lebens in der mongolischen Steppe
gehabt, damals jedoch spürte ich, dass Mama auch fremd und böse sein konnte, so feindselig beäugte sie mich und putzte hinter mir her, weil ich außer Joghurt immer alles erbrach. Großmutter sagte, das sei das Ende, aber es war nicht so.
In dem Frühling, als der unbekannte Mensch auftauchte, der kein Mongole war, hatten wir eine Menge junger Lämmer und von da an nie wieder. Großmutter sagte später, er wäre dran schuld, er hätte unsere Lämmer verflucht, und sie fügte noch hinzu, hätte er stattdessen mich mitgenommen, wäre das bei weitem kein so großer Schaden gewesen, weil ich damals erst fünf war, und so was ist noch kein Mongole, so ein fünfjähriges Zicklein. Außerdem hatten Papa und Mama noch drei weitere. Jetzt sind wir wieder nur mehr drei, Magi ist gestorben, aber es reicht immer noch, dass unser Geschlecht nicht untergeht, auch wenn einer von uns in einem Schneesturm hängen bleibt, sich eine Krankheit einfängt oder sich verirrt.
Das mit Magi ist sehr traurig, sie war nämlich von uns allen die Schönste, und Papa hatte sie immer schon am liebsten gehabt. Wenn Mama ihm schon keinen Jungen schenkte, und ich glaube, das hat er ihr nie ganz verziehen, gebar sie ihm wenigstens die größte Schönheit der ganzen Gegend. Tsarajtaj Ochin, sagten immer alle, wenn sie zu uns auf Besuch kamen und Nara und ich uns nur im linken, im Frauenteil des Ger, aneinanderschmiegten und uns trösteten, Magi wäre nur deswegen schöner als wir, weil sie viel älter war, obwohl zwischen ihr und mir nur drei und zwischen ihr und Nara nur vier Jahre lagen und sie von Kindheit an so schön gewesen war und wir das wussten.
Ojuna, als sie noch klein war, begann, kaum, dass Nara und ich die Köpfe zusammensteckten und tuschelten, mit den Fäusten auf meine Schenkel zu trommeln und sich zwischen uns zu schieben, damit ihr nur nicht zufällig etwas entginge. Damit
wir sie, die Jüngste, beachteten. Sie ist sieben Jahre jünger als Nara und an die acht jünger als ich, und sie ging uns auf die Nerven und musste sich bei uns immer alles hart erkämpfen. Sie verdarb uns sämtliche Spiele, und wir mussten sie überall mit hinschleppen, weil Mama Arbeit hatte, Papa bei der Herde war und Magi es sich einzurichten verstand. Sie versteckte sich dann mit einem Lavoir hinter dem Ger und wühlte dort stundenlang in den Eingeweiden der Schafe herum, die Papa an diesem Tag geschlachtet hatte, obwohl mit so einer Arbeit jeder gleich fertig ist. Oder sie redete sich darauf heraus, sie müsse Argal holen, damit Mama am Abend für die Buuz den Ofen heizen könne, und Ojuna würde sie nur von der Arbeit abhalten. Also schleppten schließlich immer ich und Nara sie mit uns herum.
Ojuna wurde im schrecklichsten Winter geboren, an den ich mich erinnern kann. Draußen heulte ein so eisiger Wind, dass sich die Wimpern bei jedem Lidschlag von neuem voneinander losreißen mussten, und manchmal, wenn ich zur Herde musste und abends dann auf dem Heimweg schon müde war, schob ich jedes Aufreißen der Augendeckel immer länger hinaus und hatte Lust, mich in den Schnee zu setzen und einzuschlafen. Auch die Nasenlöcher waren wie zugefroren, und es zog schmerzhaft an den Härchen. Das ist in jedem unserer Winter so, aber damals, als Ojuna zur Welt kam, war es noch viel schlimmer.
Den Tieren fielen die Flanken ein und den Menschen die Wangen, so dass auch junge wie uralt aussahen, und kleine Kinder wurden von den Erwachsenen überhaupt nicht hinausgelassen. Sie banden sie an den Bettbeinen fest oder hängten sie in ledernen Wiegen über die Öfen, um sich ihretwegen
keine Sorgen machen zu müssen, wenn sie den Schafen den Schnee wegscharren gingen.
Schnee fiel in dem Winter, als Ojuna geboren wurde, so viel, dass Großmutter beschloss zu sterben, weil sie glaubte, eine derartige Katastrophe nicht ertragen zu können, und so schlief sie während der drei schlimmsten Monate unter Decken neben dem Ofen, während Papa für die Ziegen- und Schafsjungen starken heißen Tee mit Milch kochte, damit sie überlebten. Das ausgewachsene Vieh umwickelte er mit alten Fellen, und die Pferde schrie er an, wenn er sah, dass eines von ihnen nicht mehr leben wollte. Wenn die braven Pferde verendeten, schlug er ihnen mit der Taschuur aufs Hinterteil und auf die Beine, damit sie aufstanden, und dann erschoss er sie, und Nara und ich rannten schnell herbei, um zuzusehen, wie sich die sterbenden Augen mit einem blinden Häutchen überzogen und die Lenden zitterten,
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