Kuss der Finsternis - Cole, K: Kuss der Finsternis
verwandelt. Kaderin verspürte weder Kummer noch Lust, weder Wut noch Freude. Nichts hielt sie vom Töten ab. Sie war eine tödliche Waffe. Schon seit eintausend Jahren, der Hälfte ihres bisherigen unsterblichen Lebens.
„Hast du das gehört?“, unterbrach er ihre Gedankengänge plötzlich. Die Augen, die um ein Ende gefleht hatten, verengten sich. „Bist du allein?“
Sie hob eine Augenbraue. „Ich brauche die Hilfe anderer nicht. Vor allem nicht bei einem einzigen Vampir“, fügte sie hinzu, doch ihre Stimme klang seltsam abwesend. Merkwürdigerweise war ihr Blick wieder zu seinem Körper gewandert. Über seinen Oberkörper nach unten, an seinem Bauchnabel vorbei bis hin zu dem dunklen Flaum, der sich weiter hinunterzog. Sie stellte sich vor, wie es wäre, mit einer ihrer scharfen Klauen darüberzustreichen und zu sehen, wie sein starker Körper daraufhin zitterte und bebte.
Ihre Gedanken verunsicherten sie. Am liebsten hätte sie ihr Haar hochgesteckt, damit die eisige Luft ihren Nacken abkühlen konnt e …
Er räusperte sich. Als sie ruckartig ihren Blick wieder seinem Gesicht zuwandte, hob er die Augenbrauen.
Ertappt, wie sie ihr Opfer begaffte! Welche Erniedrigung! Was ist bloß mit mir los? Sie wurde genauso wenig von sexuellem Verlangen gesteuert wie dieser wandelnde Tote dort vor ihr. Sie schüttelte sich und zwang sich, daran zu denken, was geschehen war, als sie das letzte Mal gezögert hatte.
Vor langer, langer Zeit hatte sie einen von seinesgleichen auf dem Schlachtfeld verschont und laufen gelassen; einen jungen Vampirkrieger, der um sein Leben gebettelt hatte.
Doch er hatte sie für ihr Mitgefühl mit Hohn und Spott überschüttet. Ohne zu zögern hatte der Soldat ihre beiden Schwestern aufgesucht, die in der Ebene unter ihnen kämpften. Durch den Schrei einer anderen Walküre alarmiert, war Kaderin losgerannt und einen Hügel hinabgestolpert, der mit Leibern übersät war, lebenden und toten. In dem Moment, als sie sie erreicht hatte, hatte er ihre Schwestern abgeschlachtet.
Die jüngere, Rika, hatte es völlig unvorbereitet getroffen, denn Kaderins panischer Spurt hatte sie abgelenkt. Der Vampir hatte gelächelt, als Kaderin auf die Knie gesunken war. Er hatte ihre Schwestern mit einer brutalen Effizienz ermordet, die Kaderin seitdem imitierte. Sie würde gern sagen können, dass er der Erste war, an dem sie ihre neue Taktik ausprobiert hatte, aber sie hatte ihn noch eine ganze Weile am Leben erhalten.
Warum sollte sie also denselben Fehler zweimal machen? Das würde sie nicht. Sie hatte ihre Lektion gelernt und teuer dafür bezahlt.
Je schneller ich es erledige, umso schneller kann ich mit den Vorbereitungen für die Tour beginnen.
Sie straffte ihre Schultern und wappnete sich. Der Schwung ist das Wichtigste. Kaderin sah den Hieb vor sich, sie wusste genau, welchen Winkel sie wählen musste, damit sein Kopf auf dem Hals blieb, bis er fiel. Auf diese Art und Weise war es nicht so schmutzig. Und das war wichtig.
Sie reiste mit leichtem Gepäck.
2
Als junger Mann hatte sich Sebastian Wroth so vieles vom Leben erhofft, und da er in einer großen, wohlhabenden Familie aufgewachsen war, die ihn in jeder Weise unterstützte, hatte er geglaubt, dies stehe ihm zu.
Er hatte sich eine eigene Familie gewünscht, ein Heim, lachende Gesichter um den Kamin herum. Mehr als alles andere hatte er sich nach einer Frau gesehnt, einer Frau, die nur ihm ganz allein gehörte. Er war zutiefst beschämt, vor dieser fremden Kriegerin zuzugeben, dass er nichts von alldem erreicht hatte.
In diesem Moment war Sebastians einziger Wunsch, dieses faszinierende Geschöpf noch ein wenig länger anzustarren.
Zuerst hatte er gedacht, ein Engel sei gekommen, um ihn zu befreien. Denn genauso sah sie aus. Ihr langes, welliges Haar war so blond, dass es im Kerzenschein fast weiß erschien. Ihre Augen, die die Farbe dunklen Kaffees hatten, wurden von dichten schwarzen Wimpern eingefasst, ein eindrucksvoller Kontrast zu ihrem hellen Haar und den weinroten Lippen. Ihr Teint war makello s – hellgoldene Perfektio n – , und ihre Gesichtszüge waren zart und überaus fein geschnitten.
Sie war so wunderschön, und doch trug sie die Waffe eines Mörders. Ihr zweischneidiges Schwert wies ein sogenanntes Ricasso auf, das heißt, ein Teil der Klinge direkt über dem Handschutz war nicht geschliffen, sodass ein geübter Kämpfer einen Finger über die Fehlschärfe legen konnte, um die Waffe so besser zu handhaben. Sie
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