Kuss der Finsternis - Cole, K: Kuss der Finsternis
trübsinnig an die Decke.
Sie brauchte Action, aber stattdessen war sie gezwungen zu warten, bis die Schriftrollen auf den neuesten Stand gebracht wurden. Ja, entweder Action – oder Schlaf.
Normalerweise reichten ihr nur etwa vier Stunden Schlaf am Tag, und wenn nötig, kam sie auch tagelang ganz ohne Schlaf aus, aber nach dem Ausflug in die Antarktis wollte sie unbedingt einhundert Prozent bringen. Ihr tat immer noch alles weh von ihrem Aufstie g – und vor allem vom Abstie g –, und nur allzu bald würde sie anfangen, alle möglichen ernsthaften Verletzungen zu sammeln.
Und doch konnte sie nicht einschlafen. Ihr T-Shirt spannte über ihrer Brust und trieb sie in den Wahnsinn. Sie hasste es, mit bedecktem Oberkörper zu schlafen, aber heute Nacht musste sie darauf vorbereitet sein, eventuell Besuch zu bekommen. Und selbst die feine Bettwäsche in dieser luxuriös ausgestatteten Wohnung fühlte sich, verglichen mit ihren Laken von Pratesi, wie Sackleinen an. Schlimmer noc h – das Schlafzimmer war riesig und dunkel. Viel zu dunkel.
Obwohl furchtlos im Kampf, hatten die Walküren häufig geheime Schwächen. Lucia, die Bogenschützin, hatte entsetzliche Angst davor, danebenzuschießen, seit sie dazu verflucht worden war, jedes Mal unbeschreibliche Schmerzen zu erleiden, wenn sie ihr Ziel verfehlte. Nïx fürchtete sich dermaßen davor, den Tod einer Walküre vorauszusehen, dass dies bis zum heutigen Tag noch nie vorgekommen war. Regin, stets die Erste, wenn es darum ging, sich mit einem Schlachtruf auf den Lippen ins Getümmel zu stürzen, hatte Angst vo r … Geistern.
Und Kaderin? Wenn sie allein war, hatte sie früher einmal unter Lygophobie gelitten, der Angst vor Dunkelheit oder düsteren Orten, obwohl sie sogar im Dunkeln nahezu perfekt sehen konnte.
So wie sie jetzt den Lichtschalter am Badezimmer beäugte, hatte diese Angst sie offensichtlich erneut gepackt. Noch eine Schwäche aus der Zeit vor der Segnung, die jetzt wieder ihr hässliches Haupt erhob. Sie stand auf, machte das Licht an und kehrte ins Bett zurück.
Die unheilvolle Walküre mit dem brennenden Licht in der Nach t – das war sie.
Es war unangenehm ruhig hier, genauso wie in ihrer Londoner Wohnung. Sie hatte sich daran gewöhnt, bei ihrem Koven in Val Hall zu leben, inmitten des beruhigenden Kreischens ihrer Schwestern und des Donners, der das Herrenhaus erbeben ließ. Die ganze Nacht über kamen und gingen Walküren durch die ächzende Haustür aus Eiche.
Mit einem wütenden Schnauben drehte sie sich um und starrte ihren üblichen Bettgefährten an: ihr Schwert. Ein weiteres Schnauben, und sie drehte ihm den Rücken zu. Sie wa r … einsam. Es war ihr immer noch nicht gelungen, seine Einsamkeit an jenem Morgen in seinem verdammten Schloss abzuschütteln.
Warum sollte sie nicht über ihn nachdenken? Warum gestattete sie sich selbst nicht einfach, einmal gründlich über den Vampir nachzugrübeln, und dann Schluss damit?
Sie könnte beispielsweise überlegen, warum er sterben wollte. Hatte er jemanden verloren, den er liebte? Eine Frau? Das machte Sinn. Er war in den Dreißigern und höchstwahrscheinlich verheiratet gewesen. Wenn Kaderin ihren Ehemann verloren hätte, würde sie das Eremitendasein vermutlich ebenfalls verlockend finden. Eventuell würde sie sogar in Erwägung ziehen zu sterben, wenn sie dachte, dadurch mit dem Geliebten wieder vereint zu sein.
Aber wenn er verheiratet gewesen war, warum schien er dann zunächst so seltsam unsicher, als er sie zum ersten Mal küsste? Vermutlich lag sein letzter Kuss schon eine ganze Weile zurück, aber sein Verhalten war trotzdem ungewöhnlich zögerlich gewesen.
Doch dann hatte er sich schnell wieder erinnert.
Manchmal kam ihr mit einem Mal zu Bewusstsein, dass sie an seine leidenschaftlichen Küsse dachte und den ganzen Morgen noch einmal erlebte. Am schlimmsten erschien ihr, dass sie bei diesen Gedanken beileibe nicht nur Scham empfand. Sie dachte daran, wie sie auf seinem gewaltigen Schaft geritten war, und auf der Stelle spürte sie, dass sie zwischen den Beinen feucht wurde. Ihre Brüste schwollen an und schmerzten. Ihre Klauen krümmten sich, als wollten sie ihn an sich drücken.
Sie fand keine Erklärung für die Veränderungen, diese Schwankungen in ihrer Persönlichkeit. Sie glaubte, dass ein Gott oder irgendeine höhere Macht sie mit Gefühllosigkeit gesegnet habe. Ein bloßer Zauber hätte nicht so lange vorgehalten, und die Walküren waren für Zauber sowieso nicht
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